Mediascher Infoblatt – Online

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Seit einigen Jahren werden an verschiedenen alten Gebäuden in Mediasch Plaketten angebracht, Tafeln, die an ehemalige Bewohner des jeweiligen Hauses, an deren Wirken, an ihre Bedeutung für die Mediascher Gemeinschaft erinnern sollen. Beim Rundgang durch die Altstadt kann man so am Haus Badergasse, heute Turnului Nr.1, neben dem Buresch-Eck, eine kleine Tafel mit folgender Inschrift in deutscher und rumänischer Sprache entdecken:

„In diesem Gebäude wurde im Jahr 1910 der Sitz der Allgemeinen Sparkasse eingeweiht. Der erste Direktor der Sparkasse war in den Jahren 1910 – 1913 Wilhelm Georg Bell 1865 – 1914. Gestiftet von der Familie Bell.“

Die Fragen: „Wer war dieser Wilhelm G. Bell? Was hat er mit diesem Gebäude zu tun?“ werden immer wieder gestellt. Die jüngeren Mediascher kennen die auf dem Täfelchen erwähnte Bank nicht mehr. Wie die Plakette aussagt, war W. G. Bell der Gründer der Allgemeinen Sparkasse, der Spar- und Kreditbank in Mediasch; „Unter seiner Leitung wurde ein modern ausgestattetes Bankgebäude am kleinen Marktplatz errichtet“  (dieses und alle folgenden Zitate aus: Richard Bell, Erinnerungen und Aufzeichnungen). 1910 wurde Bell zum Direktor dieser Bank gewählt.

Bell entstammt einer alten Handwerkerfamilie, die ihren Ursprung in Rode hat. Auf dem Friedhof in Rode gibt es auch heute noch unzählige Grabsteine, die den Namen Bell tragen. In der Familie wurde erzählt, die Bells stammten ursprünglich aus der Eifel und aus dem Kölner Raum. Tatsächlich ist dieser Name in den erwähnten Regionen auch heute oft anzutreffen. Wilhelm G. Bell ist am 6. Dezember 1865 in Mediasch als Sohn des Schuhmachermeisters Georg Bell und seiner Frau Ludowika Friederike Bell (geb. Fernengel) zur Welt gekommen. Der Vater hatte das Schuhgeschäft „an der Ecke Forkeschgasse – Großer Marktplatz, das erste Geschäft mit Fertigschuhen.“ Er beschäftigte 14 Gesellen.

Georg Bell hatte 5 Kinder. Die Söhne Wilhelm Georg und Karl Julius studierten in Wien und Graz. Die drei Töchter heiraten in Mediasch: Anna Bertha (verh. Schneider), Friederike (verh. Gräser) und Johanna (verh. Pauer). Der Familiensinn ist bei den Bells sehr ausgeprägt; bis ans Lebensende halten sie stets zusammen.

Georg Bell, Schuhwarenhändler (1828-1914)

Wilhelm Georg Bell (1865-1914)

Johanna Friederike geb. Fernengel (1874-1934), zweite Gattin von Wilhelm Georg Bell

Wilhelm G. Bell arbeitete nach seinem Studium zunächst in einer Bank in Hermannstadt; kam aber später in seine Heimatstadt zurück, wo er zunächst beim 1862 gegründeten Spar- und Vorschussverein mit Sitz an der Ecke Marktplatz – Forkeschgasse tätig war. Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in Siebenbürgen vor dem Ersten Weltkrieg, geprägt durch dynamische Industrialisierung, erkannte er die Notwendigkeit der Gründung einer weiteren Bank in Mediasch, und zwar einer sächsischen Volksbank.  Er entschloss sich, dieses Projekt voranzutreiben und es im Jahre 1910 zu realisieren. Bei der Gründung der Bank wurde er, wie bereits erwähnt, zum Direktor ernannt und agierte in ganz Siebenbürgen im Auftrag der Bank bis zu seinem frühen Tod im Januar 1914.

Sein Sohn Richard erinnert sich, vom Vater manchmal auf Reisen (Dienstreisen) mitgenommen worden zu sein: „Im Jahre 1912 … hatte ich ihn nach Kronstadt geleiten dürfen. Ich hatte die zweite Volksschulklasse beendet. Nun sah ich meine Geschwisterkinder Henny und Ecki in Kronstadt, die mir stolz die Schwarze Kirche zeigten und das schöne – eben fertig gewordene – Honterus-Gymnasium. Wir stiegen auch zur Zinne empor und auch die ‚Warte‘ sollte künftig für mich ein Begriff sein. Auf der Reise in die Csik unterbrachen wir die Fahrt in Tuschnad – dem bekannten Heilbad – um dann in die weiten Csiker Wälder vorzudringen, in denen Vater Messungen und Parzellierungen im Auftrage seiner Bank vornehmen ließ. Wie glücklich ist ein Knabe, wenn er Gelegenheit hat, seinen Vater von einem Stab von Männern umgeben zu sehen, die ihm Hochachtung entgegenbringen und bereit sind, seinen Weisungen zu folgen. Einmal war ich auch zu dem Grafen Normann nach Puschendorf mitgenommen worden. Es war Samstag, als der Vierspänner, von einem livrierten Kutscher gesteuert, vor unserem Hause vorfuhr, um Vater abzuholen. Ich durfte neben Vater Platz nehmen. Das Gefühl muss man erlebt haben, wenn man als kleiner Knirps neben dem Vater sitzend, vierspännig durch die Stadt saust und die Leute stehen bleiben und der Equipage wie einem Weltwunder nachschauen!!“

Richard Bell notiert weiter: „Mein Vater war ein Mann des öffentlichen Lebens. Stadtbekannt. Verehrt, geachtet als einer, der sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hatte.“ In erster Ehe war Wilhelm G. Bell mit Johanna Auguste Bell (geb. Fromm) verheiratet. Dieser Verbindung entstammen zwei Kinder. Wilhelm Karl, der nach dem Studium in Freiberg bei Dresden nach Surabaya auf Java (damals Holländisch Indien – heute Indonesien) auswanderte und dort bis zu seinem Tode lebte, und die Tochter Johanna, die Apothekerin wurde.

Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete er Johanna Friederike Fernengel, mit der er fünf Kinder hatte: Anna Margareta (Grete/ Dude), Hildegard Emma (Hilda), Richard Eduard (Bub), Walter Arthur (Luno) und Hildor Werner (Dorli). Die Familie wohnte in der Forkeschgasse Nr. 39 und hatte zudem ein Sommerhaus und einen Weinberg auf der Hulla. Sie führte ein gutbürgerliches Leben, wie es in vielen Mediascher Familien am Anfang des vorigen Jahrhunderts üblich war.

„1913 wurde dann unser Wohnhaus nach allen Richtungen hin neu ausgestattet. Das Klavier von Stiegel in Wien war eingetroffen. Die Fußböden in grauer Lackfarbe gestrichen, neue Teppiche gelegt, zum Teil neue Möbel eingestellt. Unter dem Weihnachtsbaum lagen schöne Geschenke. Meine beiden Schwestern erhielten goldene Armbanduhren, dazu eine große Klassikerausgabe in rot-goldenem Einband. Von Goethe und Schiller bis Mörike, Eichendorf und Chamisso war alles drin. … Für mich war eine Druckmaschine da, mit der man regelrechte Texte anfertigen konnte, besonders aber beeindruckte mich das Buch ‚Herz‘ des italienischen Schriftstellers Edmondo de Amicis.“

Den Sommer über lebte die Familie auf der Hill. Sie kehrt erst nach der Weinlese im Herbst in die Stadt zurück. „Unser Sommerhaus lag etwa drei Kilometer von der Stadtwohnung entfernt. … Von unserer Gasse kommend, musste man den Marktplatz überqueren, das Steingässer Tor mit seiner imposanten Durchfahrt durchmessen, um bald die Brücke zu erreichen, die sich über die Große Kokel spannte und den Weg freigab für die an Windungen überaus reiche Straße, die zu unserem Weinberg führte. Schon das Wandern auf dieser Straße gab mir stets ein Gefühl starker Erdverbundenheit, hatte doch mein Großvater mütterlicherseits (Eduard Fernengel) in seiner Eigenschaft als Königlich-Ungarischer Straßenbaukommissar diese Straße angelegt War etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, sah man oben am Hügel das rote Ziegeldach unseres Häuschens – das von zahlreichen Obstbäumen umstanden – in der Sommerhitze aufleuchtete.“ Während die Familie die Ferien auf der Hulla verbrachte, kam der Vater täglich, nach getaner Arbeit zum Sommerhaus. Das Pferd wurde im Stall hinten im Hof in der Forkeschgasse gehalten. Im Weinberg wurden oft Familienfeste gefeiert, die Großfamilie kam gerne zusammen.

Im Januar 1914 starb Wilhelm G. Bell nach kurzer Krankheit im Alter von nur 49 Jahren. Im „Mediascher Wochenblatt“ Nr.1081 vom 17. Januar 1914 war auf der ersten Seite, an erster Stelle zu lesen: „Wieder hat der Tod in die Reihe der führenden Männer unserer Stadt eine schmerzliche Lücke gerissen, Wilhelm G. Bell, der Direktor der Spar – und Kreditbank in Mediasch ist nach kurzem Krankenlager, in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag gestorben. Wir verlieren in Wilhelm G. Bell einen Mann, der wie wenige seinen Posten auszufüllen und überall, wohin sein Berufsleben ihn führte, in seiner ruhigen, arbeitsfrohen Weise vorbildlich zu wirken berufen war.“

Der Familienvater hinterließ auch zu Hause eine große Lücke – sein jüngster Sohn war erst sechs Monate alt. Sein Sohn Richard schreibt. „Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, müssen sie ähnliche Gefühle gehabt haben wie meine Mutter, meine Geschwister und ich sie hatten. … Wer würde fortan für uns sorgen? Mama war eine aufopferungsbereit dienende Mutter. Doch war sie weltfremd. Sie war an Haus und Familie gebunden. Vater hatte stets für alles andere gesorgt. Wer kannte sich am Steueramt aus, wer verhandelte mit den Schuldirektoren, wer bestellte hinfort den schönen Glasschmuck für den Weihnachtsbaum, der von Thüringen bestellt werden musste? Wer sollte die Arbeiter zur rechten Zeit für den Weinberg besorgen, wer würde von ‚Herzmanski‘ Zwieback aus Wien, Wäsche und Modeartikel beschaffen, wer die Bismarckheringe und andere Fischarten aus Hamburg. Wer würde – so fragte ich mich – mich hinfort auf Reisen mitnehmen?“

Am 17. Januar wurde Wilhelm G. Bell zu Grabe getragen. „Damals gingen die Leichenzüge noch durch die Stadt zum stillen Bergfriedhof. Es war ein langer Zug, der sich dem ‚Pietät‘- Leichenwagen anschloss. Eine große Familie, führende Persönlichkeiten der Stadt, Vereine und Körperschaften erwiesen dem verehrten Toten die letzte Ehre. … Damals vor 70 Jahren empfand ich nur Schmerz und Empörung für ein grausames Schicksal. Jetzt aber erfüllt mich das Leben und Wirken meines Vaters und vor allem, dass dieses Wirken Anerkennung gefunden hatte, doch mit Genugtuung.“

Blick in die obere Forkeschgasse mit dem Wohnhaus der Familie Bell (linke Seite, Haus Nr. 39, das Haus rechts neben der Schusterwerkstatt von Eugen Barabás.

Blick in die Hypothekarabteilung der Spar- und Kreditbank in Mediasch.

Nachtrag

Der Familie des Verstorbenen wird unverhofft geholfen. Der Sohn, Wilhelm Karl, hat sich in Indonesien eine gute Existenz aufgebaut, er stirbt aber an der Spanischen Grippe. Eine Versicherung, die er zu Gunsten seiner Stiefmutter Johanna abgeschlossen hat, wird dieser von der Holländischen Botschaft überbracht. Mit diesem Geld schickt sie ihre drei ältesten Kinder zum Studium nach München und Klausenburg. Ihren Lebensunterhalt verdient die tapfere Frau mit „Kostkindern“ – Dorfkinder, die Schulen in Mediasch besuchen und ihre Verpflegung und Unterbringung im Hause Bell hauptsächlich in Naturalien bezahlen. Nach Abschluss ihres Studiums sind die älteren Geschwister in der Lage, ihren beiden jüngeren Brüdern das Studium in Bukarest und Berlin zu ermöglichen. Sie handeln im Sinne ihres Vaters, eines gütigen, fleißigen, zukunftsorientierten Mannes.

„Ich durfte erkennen, wie wahr das Wort des Propheten (Sirach, 3 – 11) ist: ‚Denn des Vaters Segen baut den Kindern Häuser.‘“, resümiert Sohn Richard in seinen Erinnerungen. Übrigens, die Tochter Hilda hat nach ihrer Ausbildung in Klausenburg jahrzehntelang in der von ihrem Vater gegründeten Bank gearbeitet.

Quellen:

Richard Bell: „Erinnerungen und Aufzeichnungen“; 1. Auflage 1986, Gesamtherstellung Welpdruck, Otto Welp, Bielsteinerstr.72, 5276 Wiehl – Bielstein; Kapitel 1 und 2.

Gut gepolstert zwischen zahlreichen Papieren und Familienerinnerungsstücken fand ich neulich ein kleines dünnes Heft, maschinengetippt und handillustriert, von grade mal 6 Seiten Umfang, mit dem verwegenen Titel „Die Galoschia“. Wie auf dem Titelblatt formuliert, erschien es zu Sylvester 1940, im 2. Jahrgang. Unter dem Titel prangt als Bleistiftzeichnung groß und auf dem Wasser treibend eine alte Galosche, von einem winzigen rudernden Männchen sehr konzentriert auf Kurs gehalten. Eine Heuschrecke sucht obenauf Halt vor den Wasserspritzern und dem nassen Abgrund. Wo mag die Reise hingehen im kommenden Jahr 1941, in so einem ollen Überschuh, ist das die Idee dieses Bildes? Die Schöpfer dieses Heftes, mit dem kolossalen Untertitel „Illustriertes Weltblatt“, verbergen sich hinter fantasievollen Decknamen wie Nemo, Kamerad und Pinzepuff. Inhalt dieses Heftes sind 5 humoristische Gedichte, in denen die Herausgeber genüsslich Bilanz des zurückliegenden Schuljahres 1940 ziehen, und dabei weder ihre Klassenkameraden noch Lehrer verschonen. Es geht hierbei um die Septima (also 7. Gymnasialklasse) des Mediascher St. L. Roth Jungen-Gymnasiums des Schuljahres 1940/41. Das vorliegende Heft stammt aus dem Nachlass von Walter Roth, meinem Onkel, der auch Schüler dieser Klasse war.

Das erste Gedicht, „An alle, die uns lieben“, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf den Inhalt und grüßt zum Neuen Jahr; das „Sylvester A.B.C.“ widmet sich jedem einzelnen Klassenkameraden. Wir erfahren so einiges über Stärken und Schwächen, Sympathien und Sehnsüchte, lesen Namen, die noch vertraut klingen. Im Gedicht “Das Kollegium“ werden die Lehrer der Septima recht keck karikiert, man spart nicht mit Spitznamen, pikanten Beobachtungen und teilt kräftig aus. „Klassenchronik-Blitzaufnahme“ gilt Professor Hellwig und einem Autoritätsproblem. Der letzte Abschnitt „Aus aller Welt“ bringt ein paar aus Schülersicht wohl recht witzige Anzeigen und Anfragen.

Die Schöpfer dieser Schülerzeitung haben sicher mit viel Spaß und Freude an diesen Reimen gefeilt und gebastelt. Es ging ihnen sicher nicht um große Dichtkunst, sondern eher darum, mit harmlosem, keckem Witz und Humor die Klassenkameraden und Lehrer zu karikieren, sich und andere zum Lachen zu bringen. Ob jeder Betroffene gleich gut mitlachen konnte, das bleibt im Dunkeln.

Die Galoschia Schülerzeitung 1940 hielt einen für die Schüler der Septima friedlichen Moment fest, noch war der Krieg für sie fern. Wie hoffnungsfroh klingen die Zeilen im ersten Gedicht der Galoschia: „…Und ob ihr noch so wichtig euch gegeben, Ihr bleibet stehn, wir wachsen mit dem Leben! …“. Im Sommer 1942, nach der Oktava hatten diese Schüler Maturaprüfung (Abitur) und statt zum Studium ging es zu militärischen und politischen Fortbildungen, dem Völkischen Dienstjahr und dann im Sommer 1943 in den Krieg. Sie waren 19, 20 Jahre alt. Für einige war es ein Abschied für immer.

Doch wer waren diese Schüler? Wer verbirgt sich hinter den Decknamen Nemo, Kamerad und Pinzepuff und den vielen anderen Spitznamen? Das zu entschlüsseln und mehr über die Klasse zu erfahren, blieb erstmal spannend. Wer konnte dazu noch Auskunft geben?

Als wichtiger und einziger Zeitzeuge erwies sich Gerhard Terplan, ein ehemaliger Schüler dieser Klasse, der hoch betagt im Mai 2018 verstarb. Aber noch im Herbst 2016 verfasste er, auf Anfrage von Hansotto Drotloff, einen recht aufschlussreichen Bericht. Er enthält neben den Namen und Spitznamen der 25 Schüler und 12 Lehrer und des Schuldieners auch kurze biographische Aufzeichnungen, Charakterisierungen einzelner Schüler und Lehrer sowie eine Auflistung der im Krieg gefallenen 5 Schüler aus dieser Klasse. Gerhard Terplan hatte „Die Galoschia“ nicht vergessen, ein Exemplar lag bei seinen Unterlagen.

Aus der Sexta (1939/40) und der Oktava (1941/42), sind einige Klassenfotos erhalten, Bilder, die diesen Schülern ein Gesicht geben. Ebenso Fotografien der Lehrer Julius Draser, damaliger Rektor des Jungengymnasiums und Lehrer für Philosophie und Deutsch und Michael Gierscht, Lehrer für Geschichte. Es sind Fotografien aus dem Nachlass meines Onkels Walter Roth. Seine Feldpostbriefe 1943-1945 gewähren Einblick in den alltäglichen Wahnsinn des Krieges.

Eine weitere Spur führt zur Siebenbürgischen Zeitung, zu den Berichten von Fritz Feder über die Klassentreffen 1982 und 1992 bei Kurt Falk in Deggendorf zum 40-jährigen und 50-jährigen Bakkalaureats-Jubiläum.

Galoschia und de Fleosemåncher – von Hansotto Drotloff

Kehren wir zurück zur Galoschia und ihren humoristischen Versen. Diese Freude an scherzhaften Reimen, an Jux und humorvoller Spöttelei, die Leichtigkeit und manche Derbheit der Aussprüche: hatte solches ein bisschen Tradition, gab es dafür Vorbilder im guten alten Mediasch?

Die Mediascher werden bekanntlich mit dem Spitznamen „Fleosenmåcher“ bedacht. Er leitet sich vermutlich von dem Wort „Flausen“ ab. „Flausen im Kopf“ haben steht für verrückte, lustige Einfälle, nichts Gescheites, lockeres Reden, unnützes Treiben. Ihren materiellen Niederschlag fanden die Flausen der Mediascher in den reichlich produzierten Gelegenheitswerken in Reimen oder in Prosa, verfasst von meist unbekannten Dichtern, die in Sylvester- oder Faschingszeitungen erschienen sind. Am bekanntesten waren sicherlich die „Sylvesterzeitungen“ des Mediascher Turnvereins, deren erste Ausgabe am 31. Dezember 1886 erschien. Der Turnverein organisierte jedes Jahr am Altjahresabend ein Schauturnen mit anschließendem Ball. Einer der Höhepunkte des Programms war das Verlesen der „Sylvesterzeitung“, die dann auch gedruckt vorlag und eine begehrte Lektüre darstellte. In ihr wurden Mitglieder des Turnvereins, aber auch andere stadtbekannte Persönlichkeiten „durch den Kakao“ gezogen und manches, was die Gemüter in der Stadt bewegte, wurde mit spitzer Feder karikiert und kritisiert. Auch im Rahmen der Nachbarschaften wurde gerne zum Mittel des Spottgedichts gegriffen. Erhalten sind einige wenige Jahrgänge des „Kothgießer Noberschuftskalenders“ aus den 1890er Jahren, der in der Kothgässer (Rothgässer) Nachbarschaft möglicherweise anlässlich des alljährlichen Sittags verfasst und verlesen wurde, der in der Faschingszeit abgehalten wurde. In dieser Nachbarschaft, zu der auch die Bewohner der Südwestecke des Marktplatzes zählten, wohnten zwei bekannte und durchaus talentierte Versemacher, der Kaufmann Fritz Guggenberger und der Apotheker Gustav Schuster, dessen Sohn Gustav Schuster-Dutz später die Mundartdichtung in Mediasch auf literarisches Niveau heben würde. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm…“

Es ist nicht leicht zu verstehen, warum diese Äußerungen unbeschwerten Lebenswillens kaum Beachtung gefunden haben, so dass nur wenige dieser mehr oder weniger närrischen Produktionen erhalten geblieben sind. Auch die Wissenschaft hat sich ihrer nicht angenommen – es gibt nur eine einzige Arbeit von Gerhard Soos, welcher aufgezeigt hat, dass es ähnliche Publikationen wie die Mediascher Sylvesterzeitungen in Bistritz und Mühlbach gegeben hat. (Gerhard Soos: Die Faschings- und Sylvesterzeitungen. Ein bislang noch ungehobener Schatz siebenbürgisch-sächsischer Kulturleistung. Veröffentlicht in „Siebenbürgisch-sächsischer Hauskalender. Jahrbuch 1984, S. 113ff.) Sollte es in den anderen sächsischen Städten – Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg – keine ähnlichen Spaßmacher gegeben haben?

Dass das Beispiel der Sylvesterzeitung des Turnvereins zur Nachahmung anregte, ist wohl naheliegend. So war es eine große Überraschung, als ein Exemplar einer Sylvesterzeitung auftauchte, das eine Klasse des sächsischen Obergymnasiums zum Ausklang des Jahres 1940 verfasste. Da öffnet sich ein Fenster einen Spalt weit und gewährt uns einen Blick zurück in eine längst vergangene Zeit.

Die GALOSCHIA, II. Jahrgang – Illustriertes Weltblatt.

Vom Winde verweht, Lebensspuren der Mediascher Oktava 1942 – von Gertrud Servatius-Hager

Ein Zug rollt gen Westen, einer von vielen in diesen Sommertagen 1943. Herkunft Rumänien. Es ist der 29.Juni 1943 als der Zug in Wien einfährt.

An Bord hunderte junger Männer, „Volksdeutsche“ aus Rumänien, in bester Laune und euphorischer Stimmung, bereit für das größte Abenteuer ihres jungen Lebens und das heißt Krieg. Unter ihnen etliche Mediascher, auch 24 der 25 Absolventen der Oktava 1942 des Mediascher St. L. Roth-Jungengymnasiums. Die unbeschwerte Schulzeit im beschaulichen Mediasch, mit Zeit für Späße und lustige Sylvesterzeitungen á la Galoschia, bleibt weit zurück. Gemeinsam bis Wien, dann trennen sich ihre Wege – immer weiter versprengt – erst zur Ausbildung, dann an die Fronten, nach Ost, West, Nord und Süd.

Wenige Wochen zuvor, am 13. Mai 1943 kam zwischen der deutschen Reichsregierung und der rumänischen Regierung ein Abkommen zustande, das die freiwillige Einreihung rumänischer Staatsbürger volksdeutscher Zugehörigkeit in die deutsche Wehrmacht-SS unter bestimmten Bedingungen ermöglichte. Ausdrücklich garantiert wurde die Beibehaltung der rumänischen Staatsbürgerschaft. 41.560 junge volksdeutsche Männer zwischen 18 und 35 Jahren ließen sich anwerben und verließen bis zum 30. Juli 1943 in blumengeschmückten Transportzügen Rumänien Richtung Wien. Bis Ende 1943 waren es dann 54.000, rund 10% der damals in Rumänien lebenden Deutschen. Per Führererlass vom 19.Mai 1943 wurde dann allen Volksdeutschen in deutschem Waffendienst die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Die Situation änderte sich entscheidend nach dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944. Da erklärte die rumänische Regierung ihre Volksdeutschen im deutschen Waffendienst zu Deserteuren und entzog ihnen die rumänische Staatsbürgerschaft.

Über die Fahrt bis Wien schreibt Walter Roth am 29.6.1943: „Nach einer dreitägigen Fahrt sind wir endlich hier angelangt. Die Fahrt verlief sehr gut. An der rumänischen Grenze wurden wir am Sonntag Morgen von der Zollbehörde kontrolliert, doch wurde gar nichts fortgenommen. Die Beamten waren sehr höflich! Dann fuhren wir über Klausenburg, Nordsiebenbürgen, durch die ungarische Tiefebene. Gestern Abend waren wir in Budapest. Von dort ging es mit einer elektrischen Lokomotive in rasender Fahrt bis an die deutsche Grenze. Heute Morgen um 9 Uhr langten wir in Wien an, wo wir sofort von einem SS-Kommando in Empfang genommen wurden. Hier liegen wir nun in einem mächtigen Gebäudekomplex. Wir sind schon alle eingeteilt worden. Viele von uns ziehen wahrscheinlich nach Norden. Ich und mehrere Klassenkameraden von mir, darunter der Feder, der Tobias, der Mantsch Seppi usw. kommen wahrscheinlich zu einer Einheit. Unser Ausbildungsziel liegt wahrscheinlich in Mitteldeutschland. Heute gegen Abend geht es schon von hier weg!… Die Fahrt bisher war sehr lustig: Der Tavo hat uns sehr gut in Stimmung gehalten…“

Grade mal 20 Jahre jung, das Leben beginnt, die große Freiheit, Ausbildung, Studium könnte es sein. Aber just da ist Krieg und alle gehen hin. Gedanken, Träumereien an später, so abstrakt wie Federwolken, entstehen und lösen sich auf. Parallel zur Schulzeit, in den Strukturen der Deutschen Volksgruppe Rumänien, in DJ-Schulungen, Übungscamps, Völkischem Dienstjahr vorbereitet und ideologisch getrimmt, für den „gerechten Krieg“ an Deutschlands Seite zu kämpfen für Deutschlands Sieg, („…heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“). So starten sie ins Abenteuer, im guten Glauben, das einzig richtige zu tun, entscheiden sich für den Dienst in der Deutschen Wehrmacht und werden der Waffen-SS zugeteilt.

Fast zwei Jahre ihres jungen Lebens, vom 26. Juni 1943 bis April 1945, stehen sie in den Mühlen des Krieges, tapfer, gequält, immer wieder aufgeputscht, verletzt, befördert, stolz, traumatisiert, hungern nach Nachrichten von daheim, verzehren sich nach vertrauter Kost, nach ihren Lieben, sehnen sich nach Frieden, einem Leben danach – und machen doch mit im Ernst des Krieges und im täglichen Angesicht des Todes. Kreuz und quer per Bahn durch Deutschland und Europa gezerrt, von Nord nach Süd, Ost- oder Westfront, jede Begegnung mit einem Kameraden aus der Heimat oder gar Mediasch ein Glücksmoment, jeder Verlust unsägliche Trauer.

Es gibt kein Entrinnen, nur das irrsinnige Phantasma des Sieges.

Sommer 1944 – eine Zäsur im Leben der jungen Krieger. Ein Jahr nach Beginn ihres Abenteuers wechselt Rumänien die Fronten, das Bündnis mit Deutschland ist geplatzt. Die volksdeutschen Soldaten sind nun Staatsfeinde Rumäniens, abgeschnitten von zuhause, auch von jeglicher Korrespondenz mit daheim, abgeschnitten von einer Rückkehr mit allen früheren Versprechungen – und staatenlos. Ein Abenteuer ohne Wiederkehr, für die meisten von ihnen.

Walter Roth (1923-1945) – in seinem Nachlass überlebte eines von zwei bekannten Exemplaren der „Galoschia“

Mit Blumensträußen beschenkt zogen die jungen Männer singend durch die Stadt zum Bahnhof…,

wo sie in ebenfalls blumenbekränzten Waggons einem ungewissen, meist schrecklichen und oft genug tödlichen Schicksal entgegen zogen

Quo Vadis junger Mediascher? – von Gertrud Servatius-Hager

Frühjahr 1945. Der Krieg ist zu Ende. „Wenn Gott will kommen wir aus dieser Menschenabschlachtung wieder gesund nach Hause. Wenn das Schicksal es aber anders vorgesehen haben sollte, so dürft ihr auch nicht allzu traurig sein…“ (Walter Roth, Feldpost, 28.2.1944). Walter Roth und vier weitere Schulkameraden überleben den Krieg nicht, sterben an der Ostfront, bzw. in den letzten Kämpfen bei Berlin. Die anderen 19 Oktavaner geraten entweder in Gefangenschaft der Alliierten oder in sowjetische Gefangenschaft. Wie Blätter im Wind werden sie weiter in alle Himmelsrichtungen verstreut. Fünf entlässt man aus langer sowjetischer Gefangenschaft nach Rumänien und zwei nach Österreich. Einen verschlägt es nach Ostdeutschland. Die übrigen verbleiben nach der Gefangenschaft in Westdeutschland, einer zieht weiter nach Kanada. Den Angehörigen der Gefallenen Söhne und Brüder bleiben nur unsägliche Trauer und Kummer und vielleicht Fragen nach der Sinnhaftigkeit dieses Krieges.

Die unterschiedlichen politischen Systeme in Ost und West ziehen eine eiserne Grenze durch Europa, prägen Lebenswege, erschweren Kontakte und Zusammentreffen. Schwierige Lebensumstände in Rumänien verstärken die Sehnsucht nach einem Leben in Freiheit im Westen. Bis auf einen der Oktavaner wandern nach und nach alle aus Rumänien nach Deutschland aus.

Gerhard Terplan schreibt, wie es schon bald nach dem Krieg in München einen ersten Anlaufpunkt für Mediascher gab. Erste Klassentreffen der Oktava 1942 wurden dann in Dinkelsbühl, bei den jährlichen Heimattreffen der Siebenbürger Sachsen eingerichtet, später traf man sich bei den Mediascher Treffen in Kufstein. Und irgendwann luden Kurt Falk und seine Frau die Oktavaner zu sich nach Deggendorf ein. Dort wurden im Sommer 1982 auch das 40-jährige und 1992 das 50-jährige Bakkalaureats-Jubiläum gefeiert. „Diese Treffen waren für alle ein Erlebnis und sind letzten Endes auch ein Beleg dafür, dass sich diese Klasse durch eine besondere Verbundenheit auszeichnete.“, schreibt Gerhard Terplan. Zum 40-jährigen Jubiläum 1982 kamen zehn Klassenfreunde zusammen. Details erfahren wir aus Fritz Feders Bericht in der Siebenbürgischen Zeitung (SbZ, 31.08.1982: „Mediascher ´Falkland` in Niederbayern“). Den Freunden aus Rumänien und der DDR wurde die Ausreise nicht erlaubt. Der weitestangereiste war Michael Kontz aus Kanada. Das Treffen galt dem freudigen Wiedersehen und den vielen Erinnerungen. Sie gedachten der gefallenen und später verstorbenen Freunde und trugen eine Spende zusammen „für einen noch daheim lebenden Professor“ ihrer Klasse. Eindrücklich bleiben auch seine Worte: „Jeder erzählte seine Lebensgeschichte der vergangenen vierzig Jahre. Und bei den meisten zeigte sich, dass sie von den Erlebnissen der schlimmen Kriegsjahre am nachhaltigsten geprägt worden sind. Das will nicht und kann wohl auch nicht aus dem Sinn – bei allen Erfolgen, die jeder von uns in seiner Lebensgestaltung schließlich aufzuweisen hat.“

Beim 50-jährigen Jubiläum kommen sogar 14 „alte Mediascher Oktavaner“ zusammen. „Die jüngsten politischen Veränderungen in Osteuropa machten diese reale Vermehrung möglich.“, schreibt Fritz Feder darüber in der Siebenbürgischen Zeitung (SbZ, 31.07.1992: „Mediascher Oktavanertreffen“). Drei der Freunde waren nach 1990 von Rumänien nach Deutschland übersiedelt und einer, Kilian Dörr, kam zum Treffen aus Hermannstadt angereist. In treuer Freundschaft war auch der Kanadier Michael Kontz wieder dabei. Sie empfanden das freudige Wiedersehen nun im wohlverdienten Ruhestand als ein „ruhiges Einanderbegegnen“, als „Erfahrungs- und Gedankenaustausch im praktischen wie im geistig vertieften Bereich sozusagen von zwei Lebensufern aus“.

Ob Die Galoschia von 1940, dieses harmlose Scherzheftchen, nach so langen Jahren mehr als nur einem dieser Mediascher Absolventen (Gerhard Terplan) in Erinnerung war? Wir wissen es nicht.

Dieser kleine kostbare Fund aus einer achtzig Jahre zurückliegenden Epoche öffnet den Blick zurück auf die Spur einer Schülerklasse von damals.

Die Ulk-Zeitung, wie Gerhard Terplan die Galoschia nennt, widerspiegelt etwas vom damaligen Humor und Lebensgefühl, ist ein kleines Fragment aus den Biographien dieser Mediascher Gymnasiasten. Biographien geprägt vom Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, der die jungen Männer von der Schulbank weg zu Soldaten und Kämpfern machte und die Überlebenden unter ihnen in Folge des Krieges in alle Winde verstreute, einige zurück nach Rumänien, andere nach Deutschland, meist West aber auch Ost, nach Österreich und bis Kanada…

Quellen:

-Die Galoschia. Illustriertes Weltblatt. 2. Jahrgang, Sylvester 1940. Mediasch
-Walter Roth, Feldpost 1943-1945. Fotos.
-Gerhard Terplan, Brief vom 19.09.2016. Erläuterungen zur Galoschia.
-Fritz Feder, Mediascher `Falkland` in Niederbayern. In: Siebenbürgische Zeitung vom 31.08.1982, S.7.
-Fritz Feder, Mediascher Oktavanertreffen. In: Siebenbürgische Zeitung vom 31.07.1992, S.10.
-Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Band III. Das Schicksal der Deutschen in Rumänien. Hrsg. Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Berlin, 1957.

Unser Mathelehrer Hans Martin Piringer, der von den Schülern den Spitznamen „Hirip“ bekommen hatte, war in Mediasch allbekannt. Den Erfolg in Mathematik bei den Aufnahmeprüfungen an den technischen Hochschulen verdankten wir ihm und seinen jüngeren Kollegen Hermann Tontch und Dagmar Bruss.

Uns Schülern gefiel seine lockere Art den trockenen Stoff der Mathematik rüberzubringen. Bei all seinen witzigen Bemerkungen und flotten Sprüchen konnten wir bei ihm keine poetischen Talente vermuten. Erst viel später waren wir überrascht, als wir seine Gedichte zu lesen bekamen, zuerst auf losen Blättern, später 2007 in einem gebundenen Heft „Besinnliches“, zusammengestellt von unserem Schulfreund Otto Weber, dessen Begabung für Mathematik von unserem Lehrer erkannt und gefördert wurde. 2014 ließ sein Sohn in Mediasch unter dem gleichen Namen ein Büchlein drucken. Einleitend enthält es einen Beitrag von Wolfgang Lehrer über das Leben und Wirken von Hans Martin Piringer. Es folgen seine Gedichte und kurze Erzählungen und am Schluss die Rede des Geistlichen bei der Trauerfeier in Rimstig. Die Gedichte sind illustriert mit Zeichnungen von Ladislau Völgyesi.

Für unser Klassenbuch schrieben alle Absolventen des Jahrgangs 1956 sowie unsere Lehrer ihren Lebenslauf nieder. Hans Martin Piringer hatte sich kurz gefasst und im Telegrammstil berichtet: Geboren am 15.6.1913 in Großpold, vier Klassen Volksschule in Großpold, anschließend Brukenthal-Schule in Hermannstadt, Abschluss im Jahre 1930. 1930-1936 Studium an der Hochschule in Bukarest, Abteilung Mathematik, dazwischen ein Jahr Militärdienst. 1937-1939 Studium der Theologie an der Hochschule Berlin (Um an den Gymnasien unterrichten zu können verlangte die evangelische Landeskirche den Nachweis von sechs Semestern Theologiestudium). 1940 wurde ich an der Stephan-Ludwig-Roth-Schule in Mediasch angestellt. Fächer, die ich unterrichtet habe: Mathematik. 1975 ging ich in den Ruhestand. Im Krieg zwischen 1942 und 1945 an der Ostfront im rumänischen Heer. Heirat: 1948. Meiner Ehe mit Brigitte Bell habe ich viel zu verdanken. Kinder: Im Jahre 1949 wurde unser Sohn Hans-Berndt geboren. Auswanderung am 1. Mai 1990 nach Bonn.“

Von seinem älteren Bruder, der in Mediasch arbeitete und wohnte, hatte er seinerzeit von der freien Stelle an der Stephan-Ludwig-Roth-Schule erfahren. Nach seinem Vorstellungsgespräch wurde er dort auch gleich angestellt. In Mediasch wohnte Familie Piringer zuletzt am Marktplatz im Schuster-Dutz- Haus; seine Frau war eine Anverwandte von Schuster Dutz. 50 Jahre waren vergangen seit seiner Ankunft in Mediasch bis zur Ausreise nach Deutschland. Er wurde hier ein richtiger Mediascher, bekannt und geschätzt von den Einwohnern dieser Stadt.

Zu unserem 50jährigen Maturatreffen 2006 in Vorderbüchelberg kam das Ehepaar Piringer aus Bonn angereist. Er war schon 93 Jahre alt, aber körperlich und geistig noch sehr rege. Er liebte Musik und Sport; er schwamm wenn möglich jeden Tag 1000m. Nach 2009 lebten sie im Siebenbürgerheim in Rimsting. Hier starb Hans Martin Piringer fast hundertjährig am 08.01.2013. Er war ein aktiv unterstützendes Mitglied der Heimatgemeinschaft Mediasch und war gerne bei den Treffen dieser Gemeinschaft dabei.

Seine „Lust zum Fabulieren“ hatte er von seinem Vater geerbt, dem Pfarrer und Schriftsteller Otto Piringer, einem der beliebtesten sächsischen Humoristen Siebenbürgens. Die Familie Piringer gehörte zur Volksgruppe der Landler, die im 18. Jahrhundert zur Zeit der Gegenreformation wegen ihres lutherischen Glaubens aus Österreich vertrieben und in Siebenbürgen angesiedelt wurden. Otto Piringer wurde am 20. Februar 1874 in Broos als Sohn eines Pfarrers geboren. Nach dem Besuch des ungarischen Untergymnasiums in Broos und des deutschen Obergymnasiums in Hermannstadt studierte er Philologie und Theologie in Marburg, Berlin und Klausenburg. Das Berufsleben brachte ihn in verschiedene Orte Siebenbürgens: 1896 als Rektor der Höheren Volksschule in Agnetheln, dann 1903 als Pfarrer in Talmesch, 1908 in Neustadt im Burzenland, 1913 in Großpold und von 1925 bis 1950 in Broos, wo er am 3. November 1950 verstarb. Er hatte 25 Jahre lang die Würde eines Dechanten des Mühlbächer Kirchenbezirks bekleidet und war 18 Jahre lang Mitglied des Landeskonsistoriums der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien.

Als Sohn eines aus einer Großpolder Landlerfamilie stammenden Vaters und einer Brooser Bürgertochter in einer kaum sächsisch sprechenden Umgebung aufgewachsen, hat sich ihm der Zugang zur siebenbürgisch-sächsischen Mundart erst während seiner Dienstzeit eröffnet. In Agnetheln zeigte er sich begeistert von dem dort noch praktizierten Brauchtum und der selbstverständlichen Verwendung der sächsischen Mundart. Seinen thematischen Stoff bezog Otto Piringer meist aus seinen Erlebnissen als Pfarrer. Dabei war er bemüht, Echtheit zu erkennen und zu bewahren. Er schrieb humoristische Mundartgedichte und anekdotische Erzählungen, aber auch Gedichte in Deutsch und Landlerisch.

Im Nachwort zur repräsentativen Werkausgabe seiner Schriften, die unter dem Titel „Der Merenziker“ 1969 und 1977 bei Kriterion in Bukarest erschienen ist, schreibt deren Herausgeber, sein Schwiegersohn, der Germanist Bernhard Capesius: „Das Kennzeichnende am Menschen und Schriftsteller Otto Piringer ist seine Verbundenheit mit dem wirklichen Leben, wie es sich vor allem bei den einfachen Menschen der sächsischen Bevölkerung Siebenbürgens und in ihrem Alltag abspielt. Durch seinen Beruf kam er mit viel Leid unter diesen Menschen in Berührung, und sein tiefes Gemüt offenbarte sich in der Fähigkeit des Mit-Leidens mit ihnen. Aber in seinem Wesen lag auch die tröstliche Kraft zum Überwinden des Leides: der Humor.“ Capesius erstellte auch die deutsche Fassung der zweisprachigen Texte.

Otto Piringer war mit den anderen sächsischen Mundartdichtern seiner Zeit im Austausch, darunter mit Schuster Dutz aus Mediasch und Karl Gustav Reich  aus Hermannstadt.

Bei unserem Mediascher Stammtisch in Regensburg haben wir oft humorvolle Gedichte Otto Piringers vorgelesen. Für unsere zwei eingeheirateten Banater, die Jahrzehnte lang in Mediasch gelebt haben, gab es keine Probleme beim Verstehen der Mundartgedichte.

Ausgesucht habe ich je zwei Gedichte von beiden Autoren.  Die ersten beiden haben das gleiche Thema und beschreiben einen Wintertag in seiner glänzenden Pracht und die anderen beiden zeigen die tiefe Bindung zur Mutter, beziehungsweise zum Sohn.