Zur Geschichte der Mediascher Gymnasialbibliothek- eine Skizze
Von Gertrud Servatius-Hager
Mehrfach berichteten wir bereits über die Wiederentdeckung des Bücherschatzes im Mediascher Seilerturm, zum großen Teil aus dem Bestand der ehemaligen Mediascher Gymnasialbibliothek, zu der Ende des 19. Jahrhunderts die Bücher aus dem Bestand des Mediascher und des Schelker Kirchenbezirkes dazu kamen, und über die beiden Projekte, die sich seit 2022 mit der Erforschung dieser Bücher beschäftigen. Das Projekt „Schriftlichkeit vor 1600“, unter Leitung des Mediävisten Dr. Adinel Dincă von der Klausenburger Babes-Bolyai Universität, befasst sich mit der Erforschung des ältesten Schriftgutes der Mediascher Gymnasial- und Pfarrbibliothek bis ins Zeitalter der Reformation. Erste Ergebnisse wurden in Vorträgen, Publikationen und Ausstellungen bereits vorgestellt und auch im Mediascher Infoblatt besprochen.
Angeregt von dem neu erwachten Interesse an dem Bücherschatz fasste die HG-Mediasch den Entschluss, sich in einem eigenen Projekt der Geschichte der Mediascher Bibliothek und ihrer zum Teil nur noch virtuell möglichen Rekonstruktion zu widmen, auch mit Blick auf den Bestand, der seit gut 70 Jahre im Turm der vergessenen Bücher, im Seilerturm bis heute erhalten blieb. Gertrud Servatius-Hager, Johannes Hager, Hansotto Drotloff und Gerhard Schullerus sind im Wesentlichen mit diesem Projekt befasst.
Wir haben hier die Geschichte einer Schulbibliothek, die nach frühesten Quellen Anfang des 17. Jahrhunderts mit einer kleinen Sammlung begann und über eine Zeitspanne von knapp 350 Jahren zu einer beachtlichen Bibliothek von gut 19.000 Bänden heranwuchs und am 3. August 1948 mit der Verstaatlichung der Schule unter dem neuen kommunistischen Regime abrupt endete. Die Geschichte der Bibliotheksbücher, oder besser der Bücher, die in den turbulenten Zeiten nicht verloren gingen, verharrte still in der Verschwiegenheit des Seilerturms, im Schutz des Kirchenkastells bis zur Neuentdeckung im Jahr 2021.
Wie eigen doch, dass die Bibliotheksbücher nach 1948 aus dem Gymnasium heraus in die Obhut des Pfarramtes und die schützenden Mauern des Kirchenkastells gerettet wurden, zurück an den Ort wo Jahrhunderte zuvor die Geschichte der Schule und der Bibliothek begonnen hatte. Die enge Verknüpfung von Kirche und Schule bestand von Anbeginn, nicht nur durch die Trägerschaft der Kirche über die schulischen Einrichtungen und Oberhoheit in allen wichtigen Belangen. Es war auch die Nähe innerhalb des Kirchenkastells, wo alles Wichtige dicht beieinanderstand, wo sich das geistliche, das politische und das Bildungszentrum der Stadt auf engstem Raum konzentrierten: Kirche-Pfarrei, Magistrat-Rathaus und Gefängnis, Schule-Bibliothek. Schulgebäude drängten sich entlang der inneren Ringmauer zwischen den Wehrtürmen. Die Schulbibliothek wechselte im Lauf der vielen Jahre öfter ihren Platz. Bekannt ist, dass sie aus dem späteren Auditorium in den Bibliotheksturm wechselte und, als dieser zum Ende des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde, in das neue Volksschulgebäude umzog. Aus diesem wechselte sie schließlich 1912 in die eigens dafür bestimmten Bibliotheksräume des neuerrichteten Gymnasialgebäudes.

Eines der alten Schulgebäude, links davon begrenzt vom ehemaligen Schul- oder Bibliotheksturm, rechts vom Seilerturm.

Der Seilerturm im Mediascher Kirchenkastell, zwischen Küsterhaus und altem Schulgebäude gelegen.

Vom ehemaligen Schule- oder Bibliotheksturm sind nur zwei untere Geschosse übriggeblieben, der obere Teil wurde 1880 abgetragen, um Ziegeln für den Bau der neuen Volksschule zu gewinnen.
Der Bücherbestand der Bibliothek umfasst eine Zeitspanne von über 600 Jahren, aus vorreformatorischer Zeit bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Von den Anfängen des Buchdrucks, als jedes einzelne Exemplar eine Kostbarkeit war, bis hin zum Buch als preisgünstigerem Konsumgut, dank neuer Druck- und Papierherstellungsverfahren ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Oder anders gesagt von theologischen Werken des Katholizismus bis hin zu stalinistischer Propagandaliteratur im Abgesang der Bibliothek.
Die ältesten erhaltenen Werke aus der Frühzeit des Buchdrucks im 16. und frühen 17. Jahrhundert kamen möglicherweise auch über Klöster an die Pfarrei in Mediasch und auf weiterem Weg in die Schulbibliothek. Jedes dieser frühen Bücher eine Kostbarkeit, vom Druck über die Illustrationen bis hin zum Einband in Pergament oder lederüberzogenen Holzdeckeln, manche mit aufwendig gestanzten Ornamenten verziert, manche mit handschriftlichen Kommentaren, mit Namenseinträgen ihrer Besitzer bereichert. In den Fragmenten des ältesten Bücherkatalogs vom Beginn des 17. Jahrhunderts wird die Anzahl von 169 Büchern erwähnt, ein überschaubarer, wenngleich für die Zeit kostbarer Bestand. Den frühen Schul- und Bildungskonzepten entsprechend gehören zu den ältesten Büchern der Bibliothek vornehmlich theologische, philosophische und geschichtliche Werke und wichtige Werke der antiken Klassiker, fast ausschließlich in Latein, der damaligen Gelehrten- und Schulsprache verfasst. Die Ordnung und Aufstellung der Bücher erfolgten in den ersten vier Katalogen des 17. Jahrhunderts alphabetisch, in fortlaufender Nummerierung oder ganz ästhetischen Aspekten folgend nach dem Format der Bücher. Soweit zu erfahren, dürften diese ältesten vier Kataloge bzw. Katalogfragmente Mitte des 19. Jahrhunderts in der Bibliothek noch vorhanden und den Chronisten zugänglich gewesen zu sein. Recht spärlich sind die Auskünfte über die Bibliothek im 18. Jahrhundert, obgleich es aus jener Zeit viele Werke gibt.
So fragmentarisch die Quellenlage über die frühen Zeiten der Bibliothek heute ist, so sehr verdichten sich die Belege über die rasante Entwicklung der Mediascher Gymnasialbibliothek im 19. Jahrhundert. Eine Epoche der wundersamen Buchvermehrung, von 1000 Bänden im Jahr 1814 bis zu 6.511 Werken in 12.037 Bänden im Jahr 1903. Der enorme Bücherzuwachs erforderte auch eine systematische Neuordnung und Inventarisierung, eine Nummerierung der Bücher ab 1840. Neue alphabetische Verzeichnisse entstehen und zu Beginn des 20. Jahrhunderts liegen fünf thematisch aufgebaute Kataloge vor. Deren Index umfasst Druckwerke aus17 Fachgebieten, darunter auch die Hungarica- und Transilvanica-Schriften, also Werke zum Thema Ungarn und Siebenbürgen. Auch die Anlage von Karteikarten, die Einführung eines Bibliotheksstempels in den 1850er Jahren, ein Prägestempel mit dem Aufdruck „Gymnasialbibliothek Mediasch“, Bibliotheksordnung, Leseordnung, Statuten, Ausleihbücher und Reverskarten (für Ausleihe und Rückgabe), all das gehörte zu den Konzepten einer gut funktionierenden zeitgemäßen Bibliothek. Über all dem wachte ein Bibliothekar, der aus dem Lehrerkollegium kam und mit viel Umsicht all diese Neuerungen organisierte und umsetzte. Neu ist auch der Blick auf Schule und Bibliothek, sie als Ganzes auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung zu erfassen. Es entstehen Beiträge von Lehrern und Bibliothekaren über die Geschichte des Gymnasiums und der Bibliothek. Zahlreich vorhandene Bibliothekskataloge aus anderen siebenbürgischen Gymnasien und ein Regal voller österreichischer und preußischer Schulprogramme zeigt, wie breit angelegt und wie wichtig der Austausch mit Schulen und Bibliotheken sowohl innerhalb Siebenbürgens als auch mit dem deutschsprachigen Raum war.

Eine steile Holztreppe verbindet die Stockwerke im Seilerturm.

Bücherregale im Seilerturm, in der zweiten Etage. Standort der „Transilvanica“-Sammlung. Zu sehen auch der Durchbruch mit Seilzug für die Beförderung von Büchern usw. aus der unteren Etage nach oben.

Eine umfassende Sammlung von Schulprogrammen zeugt von einem regen Austausch des Mediascher Schulkollegiums mit zahlreichen deutschen und österreichischen Schulen.

Viele dicht gefüllte Bücherregale reichten offenbar nicht, um die ganze Bibliothek aufzunehmen. Hier erkennbar, wie improvisiert Regale erhöht wurden, um mehr Bücher zu fassen.

Bücherreihe aus 17.-19. Jahrhundert, darunter auch ein in weißes Pergament gebundener Band: J. A. Fabricius´ Biblioteca Latina, Hamburg 1697.

Theologische Bücher, Lexika aus dem 18. Jahrhundert, in Pergamenteinbänden.
Gleich zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierte sich unter der Lehrerschaft ein neues Denken zu Rolle und Zweck der Bibliothek, über die Schule hinaus in städtischen Raum, hin zu einer auch öffentlichen Einrichtung. Nicht nur für Lehrer, Schüler und Geistliche, sondern auch für die Bürger der Stadt. Der Zugang zum Wissen, zu den Büchern sollte nicht mehr Privileg eines kleinen Kreises sein, sondern offen für alle, ein sehr sozialer Gedanke. Aus diesem Anliegen heraus wurde im Jahr 1808 von Lehrern des Gymnasiums die Collegialbibliothek gegründet, parallel zur Schulbibliothek, eine Assoziation mit eigenem Bibliothekar und eigenem Raum im Gymnasium, “zur Beförderung wissenschaftlicher Bildung“. Zu einer Zeit, als es in der Stadt noch keine öffentliche Bibliothek und Buchläden gab, und die Preise für Bücher aus dem In- und Ausland stiegen, war es umso mehr ein Bedürfnis der Lehrerkollegen gemeinschaftlich mit den Kandidaten der Theologie eine Sammlung mit den „besten, brauchbarsten und für wissenschaftliche Bildung unentbehrlichsten Büchern“ aufzubauen. Die Nutzung sollte möglichst vielen Interessierten zugutekommen. In der Satzung formuliert der §1: „Ohne Unterschied des Standes und Alters kann jeder Freund und Liebhaber einer edlen Lektüre auf alle Rechte und Vortheile der Bibliothek Anspruch machen – bei genauer und pünktlicher Erfüllung dieser Gesetze“. Bücher- und Geldbeiträge der Mitglieder bildeten den Grundstock der Bibliothek.
Der Charakter einer öffentlichen Leihbibliothek blieb auch nach deren baldiger Vereinigung mit der Schulbibliothek zeitweise erhalten, sogar im 20. Jahrhundert.
Zu den großartigen Entscheidungen der Schule, die sehr zum Anwachsen der Bibliothek im 19. Jahrhundert beitrugen, gehörten unbedingt die Aufrufe an die Mediascher Bürger zu Bücherspenden und Schenkungen. Allen voran waren die Lehrer gefragt und auch die abgehenden Schüler waren dazu verpflichtet, der Bibliothek je ein Buch zu spenden. Die Resonanz war enorm. Hunderte von Büchern wanderten innerhalb weniger Jahrzehnte aus den privaten Bücherregalen in die Schulbibliothek, größere Konvolute aus Erbschenkungen, einzelne Buchschenkungen, auch Mitbringsel ehemaliger Mediascher Studenten aus deutschen Universitätsstädten, zahlreich die Schenkungen der Pfarrer. Namenseinträge und Schenkungshinweise in vielen Büchern spiegeln die große Spendenbereitschaft einer breiten Bevölkerungsgruppe. Die Buchtitel geben Aufschluss über die Leseinteressen der Buchspender, die Lektüren in den privaten Haushalten. Neben einigen Büchern aus dem 17. oder gar 16. Jahrhundert sind es auch ganz zeitnahe Werke aus dem 19. Jahrhundert, die frisch erworben oder von Reisen mitgebracht, alsbald der Bibliothek vermacht wurden.
Es war ein Geben und Nehmen, von Spenden und Ausleihen, bei dem die Gymnasialbibliothek im Dialog mit den Bürgern der Stadt stand. Je breiter und umfangreicher der Bestand der Bibliothek, desto größer das Angebot an die Leseinteressierten Mediascher. Trotz fester Leseordnungen mit Fristen und Gebühren wurde das „Nehmen“, das Ausleihen der Bücher von manchen Lesern nicht so ernst genommen und hatte für die Bibliothek beträchtliche Bücherverluste zur Folge. Sosehr, dass die Mediascher Bürger in öffentlichen Aufrufen zur Rückgabe der entliehenen Bücher ermahnt werden mussten.
Als eigener Bestand wurde Ende des 19. Jahrhunderts für die Schüler des Obergymnasiums eine separat geführte Schülerbibliothek gegründet, mit eigenem Bibliothekar und eigenem Programm, mit dem Zweck „den Schülern eine angemessene Unterhaltung zu gewähren und sie zugleich anzuregen und zu gewöhnen, eine geistige Befriedigung in häuslicher, ihre allgemeine Bildung fördernder Lektüre zu finden,“ wie in den Statuten der Mediascher Schülerbibliothek von 1882 zu lesen ist.
Zur gleichen Zeit strebten der Mediascher- und Schelker Kirchenbezirk eine Vereinigung ihrer Bibliotheken mit der Mediascher Gymnasialbibliothek an. Das bedeutete einen beträchtlichen Bücherzuwachs und führte zur Unterbringung der Bibliothek in größeren Räumlichkeiten in der neu errichteten Volksschule. Die damals vorgenommene Neuordnung, Inventarisierung und Katalogisierung behielt ihre Gültigkeit in den folgenden Jahrzehnten, auch nach dem Umzug ins neue Gymnasialgebäude und bis zum Ende der Bibliothek im Jahr 1948. Und sie ist auch heute noch an den Inventarschildern und der Nummerierung der Bücher erkennbar.

Titelseited es „Katalog der Lehrerbibliothek des Evang. Gymnasiums A.B. in Mediasch. Nach Fächern geordnet und zusammengestellt von Michael Rosenauer, Bibliothekar. Beilage zum Gymnasialprogramm 1892/93. Hermannstadt 1893.“ Es ist der zweite von insgesamt fünf Katalogen, die in den Jahren 1892-1919 erstellt wurden.

Die Bücher der Bibliothek wurden in den Katalogen I- V in 17 Fächer klassifiziert.

Im Zuge ihres Einsatzes im Seilerturm versuchen Gertrud Servatius-Hager und Johannes Hager in vielen kleinen und oft mühsamen Schritten eine Struktur in die von unruhigen Zeitläuften gezeichnete Bibliothek im Seilerturm zu bringen. Beispielhaft hier ein Regal mit den Karteikästen der Gymnasialbibliothek und weiterer Karteien der Schule, u.a. zwei Schachteln mit Reverskarten (Ausleih-Rückgabekarten, Eintragungen von Anfang 20. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre).

Die Bücher der Bibliothek wurden in den Katalogen I- V in 17 Fächer klassifiziert.

Blick in einen Karteikasten der Mediascher Gymnasialbibliothek mit Karteikarten.






Unterschiedliche Stempel der Gymnasialbibliothek, des Mediascher Kirchenbezirks, Amtssiegel des Schelker Bezirks-Consistoriums A.B.
Wie anders stellt sich die Entwicklung der Gymnasialbibliothek dann im 20. Jahrhundert dar. Von der positiven Energie und Entfaltungskraft, mit der die Bibliothek im 19. Jahrhundert aufgebaut und entwickelt wurde, ist in den so politisch bestimmten Jahrzehnten zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg kaum noch etwas zu spüren. Tief greifen die politischen Entwicklungen in die Auswahl der neu angeschafften Bücher ein, spiegeln sich im Zugangsbuch der Bibliothek die politischen Einflüsse wider. Ab 1919, nach dem Zusammenschluss Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien, werden ganz neu rumänisch sprachige Bücher angeschafft, und sehr bald eine Flut nationalsozialistisch gefärbter Schriften in den 1930er bis Anfang der 1940er Jahren und auf den letzten Metern der Gymnasialbibliothek in den Jahren 1947-1948 Bücher ganz im Sinne der kommunistischen Ideologie. Auf Büchereintragungen folgen Bücherstreichungen, es sind sehr unruhige Zeiten für die Bibliothek, zu unruhig und unübersichtlich für neue Kataloge. Umso wertvoller ist da das gut erhaltene Zugangsbuch mit den Neuzugängen der Jahre 1927 bis 1948. Es enthält eine Chronologie der angeschafften Werke, akribisch dokumentiert sind darin auch die erforderlichen Anpassungen an die politisch wechselnden Zeiten. So etwa nach 1945 die Ausstreichung von 736 Büchern aus nationalsozialistischer Zeit. Dokumentiert sind darin die Zäsuren 1947 und das Ende der Bibliothek am 3. August 1948.
Über das, was unmittelbar danach mit der Gymnasialbibliothek wirklich geschah, bleibt ein feiner Schleier von Unklarheiten ausgebreitet. Rauswurf der faschistischen Bibliotheksbücher aus dem Schulgebäude, Bücherhaufen im Schulhof, zum Verbrennen bestimmt. Entsetzte Lehrer und Schüler, die heimlich Körbeweise Bücher und Dokumente, auch uralte Pergamenturkunden, die dort aufbewahrt wurden, in die nahe gelegene Margaretenkirche, auf die Schneiderempore retten, das wird in Zeitzeugenberichten erzählt.
Bis 1957 schweigt die Chronik über den weiteren Umgang mit den Bibliotheksbüchern, es fehlen auch Hinweise über den Umzug der Bücher in den Seilerturm. Erste Anhaltspunkte gibt es dann im Jahr 1957. Ab da wird das Zugangsbuch der Gymnasialbibliothek von der Pfarrei für die Eintragung ihrer eigenen Buchzugänge erstaunlicherweise weitergenutzt, unter fortlaufender Nummerierung bis zum Jahr 1979, bis zur Nummer 12.150. Ein weiterer Anhaltspunkt für die erneute Nutzung der Bibliotheksbücher findet sich in einem kleinen Stapel ausgefüllter Ausleih- und Rückgabekarten, den sog. Reverskarten der Gymnasial- und Bezirksbibliothek, mit Datierungen bis 1948 und nach längerer Unterbrechung dann erneut ab Januar 1957. Wohl ab da können Bibliotheksbücher, vermutlich in vertrauten Kreisen, wieder genutzt und ausgeborgt werden, und das nun offensichtlich durch die Pfarrei.
Bis 1957 müssen folglich die mehreren Tausend Bücher von emsigen Helfern in mühevoller Arbeit geordnet und nach Nummern sortiert, muss auch der Seilerturm mit Regalen soweit ausgestattet worden sein, dass die Bibliotheksbücher aus der Kirche dahin gebracht, hochgeschleppt und in den vier Etagen geordnet aufgestellt werden konnten. Erst ab da konnte man den Bestand in der Enge des Seilerturms wohl einigermaßen überblicken, war die Bibliothek als solche für einen inneren Personenkreis sogar wieder benutzbar. Ein Rekonstruktionsversuch. Erstaunlich, und mit der Erzählung vom Rauswurf der Bücher aus dem Gymnasialgebäude kaum vereinbar ist der gute Erhaltungszustand der meisten Bücher.
Als wir 2021 die Bibliothek im Seilerturm zum ersten Mal betraten, hatte es wirklich den Anschein einen Turm der vergessenen Bücher zu betreten. Die Bibliothek im Seilerturm war in der öffentlichen Wahrnehmung anscheinend nicht mehr vorhanden, verschwunden und vergessen. Es gab kaum Informationen darüber, noch war über den Bestand genaueres zu erfahren. Doch je mehr Dokumente wir im Seilerturm entdeckten, desto mehr wurde sichtbar, dass die Bibliothek intern, also in der Pfarrei als auch von Seiten staatlicher kulturpolitischer Stellen durchgängig von Interesse war, bis 1989 und auch danach bis 2002. Mehrere, teils fragmentarische Bücherverzeichnisse aus den 1960er und 1970er Jahren zeugen von wiederholter Beschäftigung mit den Seilerturmbüchern. Als man Ende der 1960er Jahre die Kulturgüter des Landes und somit auch jene der ev. Kirche in Mediasch von staatlicher Stelle erfasste, wurden auch die ältesten Buchbestände im Seilerturm, bis zum Jahr 1800, im sog. Neicov-Verzeichnis mitaufgenommen. Mitte der 1990er Jahre gab es Projekte der Landeskirche zur Rettung und Überführung der Gemeindearchive nach Hermannstadt, ins Zentralarchiv der ev. Kirche A.B. in Rumänien. Die Bücher im Seilerturm waren für die Kommission eine absolute Neuentdeckung. Die Kenntnis von der Bibliothek reichte bis Budapest, wo sich ein ungarischer Historiker vor allem mit Hungarica-Transilvanica, also alten Werken zu Ungarn und Siebenbürgen beschäftigte und dafür öfter nach Mediasch und in den Seilerturm kam. Und schließlich sollen hier noch die Bemühungen in den 1980er und 1990er Jahren erwähnt werden, den Buchbestand im Seilerturm systematisch zu erfassen. Die damals angelegten Verzeichnisse sind für die Rekonstruktion der Bibliothek und des Bestandes im Turm eine äußerst wertvolle Hilfe.
Die Gymnasialbibliothek ist ein kleiner Baustein der Geschichte von Mediasch. Die Bücher der Mediascher Gymnasialbibliothek nehmen uns mit auf eine Reise durch die wechselnden Themen- und Interessengebiete im Laufe der Jahrhunderte. Bis auf die ganz frühen in Latein verfassten Werke sind es vorwiegend deutschsprachige Bücher. Sie erzählen von den weitläufigen Verbreitungswegen im europäischen Raum, lassen erahnen, unter welch beschwerlichen Bedingungen Bücher anfangs ihren Weg aus den Druck- und Verlagsanstalten im fernen deutschsprachigem Raum, einige gar aus Frankreich oder Italien bis nach Mediasch fanden. Nur allmählich kamen mehr Bücher und Schriften direkt aus siebenbürgischen Druckwerkstätten und Verlagen in die Bibliothek. Die Bücher spiegeln die stete Verbundenheit mit dem deutschsprachigen Raum, das Bedürfnis und Selbstverständnis der Schule auch im Bildungsbereich mit den Entwicklungen dort mitzuziehen und in den unterschiedlichen Fachbereichen auf dem jeweiligen Wissensstand zu sein. Und sie erzählen von Lese- und Bildungsinteressen nicht nur an der Schule, sondern auch bei den Mediascher Bürgern.
Mit diesem Beitrag möchten wir einen ersten Überblick zur Geschichte der Gymnasialbibliothek skizzieren. Es wird noch eine Weile dauern, bis die Fülle der aufgefundenen Unterlagen und die darin enthaltenen Informationen ausgewertet ist, um ein möglichst vollständiges Bild der Bibliotheksgeschichte und des Bücherbestandes zu bekommen. Parallel zur Forschung vor Ort wird an einer Datenbank gearbeitet, die schließlich eine virtuelle Rekonstruktion des Bücherbestandes ermöglichen soll. Dieser recht aufwändigen Arbeit widmet sich dankenswerter Weise Gerhard Schullerus. Wir hoffen damit der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Datenbasis für das Studium der Geistesgeschichte der Pfarrei, der Schule und der sächsischen Gemeinschaft in Mediasch zur Verfügung zu stellen.

Bei all unserem Tun ist eines konstant, der Standort der Bibliotheksbücher im Seilerturm. Die Bücher haben die Jahrzehnte dort erstaunlich gut überdauert, sieht man vom dicken Staub und dem Schmutz durch eingedrungene Tauben und Insekten ab. Zum Schutz der Innenräume und der Bücher wurden nun im Herbst 2024 Tauben- und Insektenschutzgitter vor den Fensternischen angebracht, eine sehr effektive und gelungene erste Maßnahme, sorgfältig durchgeführt von den kirchlichen Mitarbeitern. So können die Räume nun belüftet werden, ungestört vor Tauben und Insekten. Und der liebe Turrepitz kann ab und zu einen wachsamen Blick in den Turm werfen.


Buchdeckel einer großformatigen Bibel von 1640, mit schwarzem Leder überzogen, mit reichverzierten Metallbeschlägen und Medaillon.

Viele Bücher erzählen ihre eigene Geschichte: Diese deutsche Übersetzung von Johannes Tröster des Werkes von Johann Bethlen, Das bedrängte Dacia. Das ist: Siebenbürgische Geschichten etc., erschien 1666 in Nürnberg. Auf dem vorderen Blatt sagt ein handschriftlicher Vermerk des Bibliothekars der Kronstädter Schulbibliothek C. Nussbächer, dass dieses Buch von der dortigen Bibliothek verkauft wurde.

Articuli Diaetales Anni 1791 Claudiopoli, (Verhandlungsprotokoll des Landtags in Klausenburg im Jahre 1791) Druckerei Martin Hochmeister, [Hermannstadt] 1793. Darauf der Stempel „Gymnasial Bibliothek Mediasch“ und der Stempel des Mediascher Kirchenbezirks.



Fibel von Johann Michaelis, Hermannstadt, 1874

Herrn von Buffons Naturgeschichte der vierfüßigen Thiere. 1. Band. Troppau, 1785.

Abbildung „Der Esel“, aus Herrn von Buffons Naturgeschichte der vierfüßigen Thiere. 1. Band. Troppau, 1785.

Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können. Frankfurt und Leipzig, 1794, mit Prägestempel der Gymnasialbibliothek und dem Siegel des Mediascher Kirchenbezirks.

Mapa Totius Mundi, Weltkarte aus einem großformatigen Atlas aus dem Verlag von Johann Walch und Martin Will, später Tobias C. Lotter, Augsburg 18. Jahrhundert.
