MIB-Dez. 2023-Wilhelm Georg Bell (1865-1914)

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Wilhelm Georg Bell (1865-1914) – von Adelheid Tontch, geb. Bell und Jochen Bell

Seit einigen Jahren werden an verschiedenen alten Gebäuden in Mediasch Plaketten angebracht, Tafeln, die an ehemalige Bewohner des jeweiligen Hauses, an deren Wirken, an ihre Bedeutung für die Mediascher Gemeinschaft erinnern sollen. Beim Rundgang durch die Altstadt kann man so am Haus Badergasse, heute Turnului Nr.1, neben dem Buresch-Eck, eine kleine Tafel mit folgender Inschrift in deutscher und rumänischer Sprache entdecken: „In diesem Gebäude wurde im Jahr 1910 der Sitz der Allgemeinen Sparkasse eingeweiht. Der erste Direktor der Sparkasse war in den Jahren 1910 – 1913 Wilhelm Georg Bell 1865 – 1914. Gestiftet von der Familie Bell.“

Heute Ansicht des Hauses Badergasse 1, in dem in den ersten Jahren nach dem Umsturz von 1989 für kurze Zeit ebenfalls eine Bank untergebracht war.

Die von der Familie zur Erinnerung an die Gründung der Allgemeinen Sparkasse angebrachte Gedenktafel.

Am Burscheck, dem Eckhaus vom Großem Marktplatz zur Badergasse befand sich in der Vorkriegszeit eine Tafel, die auf die um die Ecke angesiedelte „Spar- und Kreditbank Aktengesellschaft“ hinwies.

Die Fragen: „Wer war dieser Wilhelm G. Bell? Was hat er mit diesem Gebäude zu tun?“ werden immer wieder gestellt. Die jüngeren Mediascher kennen die auf dem Täfelchen erwähnte Bank nicht mehr. Wie die Plakette aussagt, war W. G. Bell der Gründer der Allgemeinen Sparkasse, der Spar- und Kreditbank in Mediasch; „Unter seiner Leitung wurde ein modern ausgestattetes Bankgebäude am kleinen Marktplatz errichtet“  (dieses und alle folgenden Zitate aus: Richard Bell, Erinnerungen und Aufzeichnungen). 1910 wurde Bell zum Direktor dieser Bank gewählt.

Wilhelm Georg Bell (1865-1914).

Johanna Friederike geb. Fernengel (1874-1934), zweite Gattin von Wilhelm Georg Bell.

Georg Bell, Schuhwarenhändler (1828-1914).

Bell entstammt einer alten Handwerkerfamilie, die ihren Ursprung in Rode hat. Auf dem Friedhof in Rode gibt es auch heute noch unzählige Grabsteine, die den Namen Bell tragen. In der Familie wurde erzählt, die Bells stammten ursprünglich aus der Eifel und aus dem Kölner Raum. Tatsächlich ist dieser Name in den erwähnten Regionen auch heute oft anzutreffen. Wilhelm G. Bell ist am 6. Dezember 1865 in Mediasch als Sohn des Schuhmachermeisters Georg Bell und seiner Frau Ludowika Friederike Bell (geb. Fernengel) zur Welt gekommen. Der Vater hatte das Schuhgeschäft „an der Ecke Forkeschgasse – Großer Marktplatz, das erste Geschäft mit Fertigschuhen.“ Er beschäftigte 14 Gesellen.

Georg Bell hatte 5 Kinder. Die Söhne Wilhelm Georg und Karl Julius studierten in Wien und Graz. Die drei Töchter heiraten in Mediasch: Anna Bertha (verh. Schneider), Friederike (verh. Gräser) und Johanna (verh. Pauer). Der Familiensinn ist bei den Bells sehr ausgeprägt; bis ans Lebensende halten sie stets zusammen.

Wilhelm G. Bell arbeitete nach seinem Studium zunächst in einer Bank in Hermannstadt; kam aber später in seine Heimatstadt zurück, wo er zunächst beim 1862 gegründeten Spar- und Vorschussverein mit Sitz an der Ecke Marktplatz – Forkeschgasse tätig war. Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in Siebenbürgen vor dem Ersten Weltkrieg, geprägt durch dynamische Industrialisierung, erkannte er die Notwendigkeit der Gründung einer weiteren Bank in Mediasch, und zwar einer sächsischen Volksbank.  Er entschloss sich, dieses Projekt voranzutreiben und es im Jahre 1910 zu realisieren. Bei der Gründung der Bank wurde er, wie bereits erwähnt, zum Direktor ernannt und agierte in ganz Siebenbürgen im Auftrag der Bank bis zu seinem frühen Tod im Januar 1914.

Sein Sohn Richard erinnert sich, vom Vater manchmal auf Reisen (Dienstreisen) mitgenommen worden zu sein: „Im Jahre 1912 … hatte ich ihn nach Kronstadt geleiten dürfen. Ich hatte die zweite Volksschulklasse beendet. Nun sah ich meine Geschwisterkinder Henny und Ecki in Kronstadt, die mir stolz die Schwarze Kirche zeigten und das schöne – eben fertig gewordene – Honterus-Gymnasium. Wir stiegen auch zur Zinne empor und auch die ‚Warte‘ sollte künftig für mich ein Begriff sein. Auf der Reise in die Csik unterbrachen wir die Fahrt in Tuschnad – dem bekannten Heilbad – um dann in die weiten Csiker Wälder vorzudringen, in denen Vater Messungen und Parzellierungen im Auftrage seiner Bank vornehmen ließ. Wie glücklich ist ein Knabe, wenn er Gelegenheit hat, seinen Vater von einem Stab von Männern umgeben zu sehen, die ihm Hochachtung entgegenbringen und bereit sind, seinen Weisungen zu folgen. Einmal war ich auch zu dem Grafen Normann nach Puschendorf mitgenommen worden. Es war Samstag, als der Vierspänner, von einem livrierten Kutscher gesteuert, vor unserem Hause vorfuhr, um Vater abzuholen. Ich durfte neben Vater Platz nehmen. Das Gefühl muss man erlebt haben, wenn man als kleiner Knirps neben dem Vater sitzend, vierspännig durch die Stadt saust und die Leute stehen bleiben und der Equipage wie einem Weltwunder nachschauen!!“

Richard Bell notiert weiter: „Mein Vater war ein Mann des öffentlichen Lebens. Stadtbekannt. Verehrt, geachtet als einer, der sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hatte.“ In erster Ehe war Wilhelm G. Bell mit Johanna Auguste Bell (geb. Fromm) verheiratet. Dieser Verbindung entstammen zwei Kinder. Wilhelm Karl, der nach dem Studium in Freiberg bei Dresden nach Surabaya auf Java (damals Holländisch Indien – heute Indonesien) auswanderte und dort bis zu seinem Tode lebte, und die Tochter Johanna, die Apothekerin wurde.

Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete er Johanna Friederike Fernengel, mit der er fünf Kinder hatte: Anna Margareta (Grete/ Dude), Hildegard Emma (Hilda), Richard Eduard (Bub), Walter Arthur (Luno) und Hildor Werner (Dorli). Die Familie wohnte in der Forkeschgasse Nr. 39 und hatte zudem ein Sommerhaus und einen Weinberg auf der Hulla. Sie führte ein gutbürgerliches Leben, wie es in vielen Mediascher Familien am Anfang des vorigen Jahrhunderts üblich war.

„1913 wurde dann unser Wohnhaus nach allen Richtungen hin neu ausgestattet. Das Klavier von Stiegel in Wien war eingetroffen. Die Fußböden in grauer Lackfarbe gestrichen, neue Teppiche gelegt, zum Teil neue Möbel eingestellt. Unter dem Weihnachtsbaum lagen schöne Geschenke. Meine beiden Schwestern erhielten goldene Armbanduhren, dazu eine große Klassikerausgabe in rot-goldenem Einband. Von Goethe und Schiller bis Mörike, Eichendorf und Chamisso war alles drin. … Für mich war eine Druckmaschine da, mit der man regelrechte Texte anfertigen konnte, besonders aber beeindruckte mich das Buch ‚Herz‘ des italienischen Schriftstellers Edmondo de Amicis.“

Den Sommer über lebte die Familie auf der Hill. Sie kehrt erst nach der Weinlese im Herbst in die Stadt zurück. „Unser Sommerhaus lag etwa drei Kilometer von der Stadtwohnung entfernt. … Von unserer Gasse kommend, musste man den Marktplatz überqueren, das Steingässer Tor mit seiner imposanten Durchfahrt durchmessen, um bald die Brücke zu erreichen, die sich über die Große Kokel spannte und den Weg freigab für die an Windungen überaus reiche Straße, die zu unserem Weinberg führte. Schon das Wandern auf dieser Straße gab mir stets ein Gefühl starker Erdverbundenheit, hatte doch mein Großvater mütterlicherseits (Eduard Fernengel) in seiner Eigenschaft als Königlich-Ungarischer Straßenbaukommissar diese Straße angelegt War etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, sah man oben am Hügel das rote Ziegeldach unseres Häuschens – das von zahlreichen Obstbäumen umstanden – in der Sommerhitze aufleuchtete.“ Während die Familie die Ferien auf der Hulla verbrachte, kam der Vater täglich, nach getaner Arbeit zum Sommerhaus. Das Pferd wurde im Stall hinten im Hof in der Forkeschgasse gehalten. Im Weinberg wurden oft Familienfeste gefeiert, die Großfamilie kam gerne zusammen.

Im Januar 1914 starb Wilhelm G. Bell nach kurzer Krankheit im Alter von nur 49 Jahren. Im „Mediascher Wochenblatt“ Nr.1081 vom 17. Januar 1914 war auf der ersten Seite, an erster Stelle zu lesen: „Wieder hat der Tod in die Reihe der führenden Männer unserer Stadt eine schmerzliche Lücke gerissen, Wilhelm G. Bell, der Direktor der Spar – und Kreditbank in Mediasch ist nach kurzem Krankenlager, in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag gestorben. Wir verlieren in Wilhelm G. Bell einen Mann, der wie wenige seinen Posten auszufüllen und überall, wohin sein Berufsleben ihn führte, in seiner ruhigen, arbeitsfrohen Weise vorbildlich zu wirken berufen war.“

Der Familienvater hinterließ auch zu Hause eine große Lücke – sein jüngster Sohn war erst sechs Monate alt. Sein Sohn Richard schreibt. „Als Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben wurden, müssen sie ähnliche Gefühle gehabt haben wie meine Mutter, meine Geschwister und ich sie hatten. … Wer würde fortan für uns sorgen? Mama war eine aufopferungsbereit dienende Mutter. Doch war sie weltfremd. Sie war an Haus und Familie gebunden. Vater hatte stets für alles andere gesorgt. Wer kannte sich am Steueramt aus, wer verhandelte mit den Schuldirektoren, wer bestellte hinfort den schönen Glasschmuck für den Weihnachtsbaum, der von Thüringen bestellt werden musste? Wer sollte die Arbeiter zur rechten Zeit für den Weinberg besorgen, wer würde von ‚Herzmanski‘ Zwieback aus Wien, Wäsche und Modeartikel beschaffen, wer die Bismarckheringe und andere Fischarten aus Hamburg. Wer würde – so fragte ich mich – mich hinfort auf Reisen mitnehmen?“

Am 17. Januar wurde Wilhelm G. Bell zu Grabe getragen. „Damals gingen die Leichenzüge noch durch die Stadt zum stillen Bergfriedhof. Es war ein langer Zug, der sich dem ‚Pietät‘- Leichenwagen anschloss. Eine große Familie, führende Persönlichkeiten der Stadt, Vereine und Körperschaften erwiesen dem verehrten Toten die letzte Ehre. … Damals vor 70 Jahren empfand ich nur Schmerz und Empörung für ein grausames Schicksal. Jetzt aber erfüllt mich das Leben und Wirken meines Vaters und vor allem, dass dieses Wirken Anerkennung gefunden hatte, doch mit Genugtuung.“

Nachtrag

Der Familie des Verstorbenen wird unverhofft geholfen. Der Sohn, Wilhelm Karl, hat sich in Indonesien eine gute Existenz aufgebaut, er stirbt aber an der Spanischen Grippe. Eine Versicherung, die er zu Gunsten seiner Stiefmutter Johanna abgeschlossen hat, wird dieser von der Holländischen Botschaft überbracht. Mit diesem Geld schickt sie ihre drei ältesten Kinder zum Studium nach München und Klausenburg. Ihren Lebensunterhalt verdient die tapfere Frau mit „Kostkindern“ – Dorfkinder, die Schulen in Mediasch besuchen und ihre Verpflegung und Unterbringung im Hause Bell hauptsächlich in Naturalien bezahlen. Nach Abschluss ihres Studiums sind die älteren Geschwister in der Lage, ihren beiden jüngeren Brüdern das Studium in Bukarest und Berlin zu ermöglichen. Sie handeln im Sinne ihres Vaters, eines gütigen, fleißigen, zukunftsorientierten Mannes.

„Ich durfte erkennen, wie wahr das Wort des Propheten (Sirach, 3 – 11) ist: ‚Denn des Vaters Segen baut den Kindern Häuser.‘“, resümiert Sohn Richard in seinen Erinnerungen. Übrigens, die Tochter Hilda hat nach ihrer Ausbildung in Klausenburg jahrzehntelang in der von ihrem Vater gegründeten Bank gearbeitet.

Quellen:

Richard Bell: „Erinnerungen und Aufzeichnungen“; 1. Auflage 1986, Gesamtherstellung Welpdruck, Otto Welp, Bielsteinerstr.72, 5276 Wiehl – Bielstein; Kapitel 1 und 2.