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Interviev mit Marlene Mild – von Roland Widmann
„Die Ahornbäume im Garten meines Elternhauses“
Ein Interview mit der in Mediasch geborenen Koloratursopranistin Marlene Mild. Geführt von Roland Widmann
An einem frühlingshaften Sonntagmorgen im März dieses Jahres klingelte ich an der Haustür einer vom Publikum wie eine „Brunhilde in Bayreuth“ gefeierten, grandiosen Koloratursopranistin und wurde von der strahlend lächelnden Marlene Mild begrüßt. Sie hatte eine Gießkanne in der Hand und wollte noch schnell die bunten Stiefmütterchen auf ihrem Fensterbrett gießen, bevor sie mich, ohne großes Primadonnengehabe, in ihr gemütliches Wohnzimmer einlud.
Beim Betreten des Zimmers fiel mein Blick auf ein Bild an der Wand, auf dem eine charmante Frau die kindliche Schutzlosigkeit einer gefährdeten Nymphe verkörperte. Es war Marlene Mild als Melusine in ihrer absolut erfolgreichsten Titelpartie der Oper von Aribert Reimann.
Nun pendelte mein Blick zwischen einer mystischen Sagengestalt auf dem Bild an der Wand und einer mir gegenübersitzenden freundlichen, sehr bescheidenen und natürlichen Marlene Mild, die unsere gemeinsame Geburtsstadt Mediasch bereits im Jahre 1976 verlassen hatte. Ich dankte ihr ganz herzlich, dass sie sich sogar an einem Sonntag Zeit nehmen konnte, um sich von mir ein paar Erinnerungen aus ihrer Kindheit in Mediasch entlocken zu lassen.
Marlene Mild singt die Titelpartie in „Melusine“ von Aribert Reimann aufgeführt am Staatstheater Nürnberg
( Foto: Bettina Stöß )
Auf meine Frage, was sie als erstes vor Augen hätte, wenn sie an Mediasch denkt, antwortete Marlene prompt, es wären vier große Ahornbäume im Garten ihres Elternhauses, deren dicke Stämme zur majestätischen Erscheinung der Bäume beitrugen. Sie war von dem Spektakel der sich je nach Jahreszeit verändernden Farbenpracht der Blätter fasziniert.
Im Frühling waren sie hell, im Sommer sattgrün und voller Leben, im Herbst verwandelt in ein leuchtendes Rot, das die ganze Umgebung in ein warmes Glühen tauchte.
Ich überlegte stillschweigend, ob dieses Farbenspiel mit-prägend war, dass sich Marlene bis heute, mit ihrem sicher geführten Koloratursopran, voller virtuos-chromatisch gefärbten, sich in ätherische Höhen schraubender Töne, fulminant in die Herzen des Publikums gesungen hat.
Ein Ort voller Leben und Liebe, der für immer in ihrer Erinnerung bleiben wird, war auch der schöne Hof ihrer Oma in Pretai mit einem zauberhaften Garten, reich an allem, was man pflücken und genießen konnte. Eine bekannte amerikanische Weinrebe (Delaware) verbreitete einen herrlichen Duft, während sich um sie herum viele Haustiere tummelten. Jeder Besuch bei der Oma war ein Fest für die Sinne, voller Düfte und Geschmäcker, die ihre Kindheit unvergesslich machten.
Unvergesslich bleibt auch die Zeit mit ihren wunderbaren, sehr unkonventionellen Eltern, die ihre Kinder selbstständig heranwachsen ließen. Marlene ist dankbar für eine Kindheit in Mediasch, in der sie nach jedem Gewitter hinaus laufen durfte um fantasievoll in den Sand zu malen, spielend vom Schrank springen, eifrig in der Nähstube ihrer Tante Inni schneidern und nähen und auf einer selbstgebastelten Bühne, mit einem Springseil als Mikrofon, ein Lächeln in die Gesichter der Zuschauer zaubern konnte. Singen hat Marlene immer großen Spaß gemacht und sie ist überzeugt, dass sie durch das gemeinsame Musizieren mit den Eltern und der lieben Großmutter eine neue Dimension als Mensch in ihrem Leben dazubekommen hat.
Sie bedauert es sehr, dass die Kinder heutzutage solche Erlebnisse durch zu häufiges Eintauchen in eine nur virtuelle Welt oft versäumen.
An die kurze Schulzeit in Mediasch denkt Marlene mit etwas gerunzelter Stirn zurück. Sie erinnert sich an ein strenges System, das ihr eine latente Angst, etwas falsch zu machen vermittelte, und einen strengen Lehrer Paal, der oft mit erhobener Stimme kräftig mit dem Lineal auf die Finger klopfte. Sie fand dieses verschreckend und versuchte sich möglichst unauffällig zu verhalten. Das Schöne jedoch aus dieser Zeit sind zwei gute Schulfreundschaften, die ihr bis heute erhalten geblieben sind. Sie freut sich mit dem einzigen rumänischen Mädel aus der Klasse, Liliana, immer noch in Kontakt zu sein und mit Sigrid in Nürnberg weiterhin eine wunderschöne Freundschaft zu pflegen.
Hier in Deutschland kam Marlene nach mehreren Stationen 1980 auf die Waldorfschule in Überlingen am Bodensee. Ihre Eltern Sara und Friedrich Mild hatten diesen Ort ausgewählt, weil sie beide von der Anthroposophie überzeugt waren und an einer Waldorfschule unterrichten wollten.
Ohne Ängste vor strengen Lehrern konnte Marlene ihre künstlerische Begabung auf dieser Schule entwickeln und entdeckte vor dem Abitur, dass sie wirklich eine außergewöhnliche Stimme hat. Sie hatte als Jahresarbeit das Thema „Singen“ ausgewählt und vier Lieder für die Prüfung vorbereitet. Diese fand anderes als geplant auf einer Bühne in der Öffentlichkeit statt und war somit für Marlene nicht nur ein Sprung ins kalte Wasser, sondern zugleich auch ein Weg zu erstem großem Erfolg. Ab jetzt wusste sie, dass Gesang ihr Leben sein würde.
Sie machte ihr künstlerisches Diplom an der Musikhochschule Köln und begann anschließend ein Künstlerleben als freischaffende Sängerin.
Marlene Mild ist eine herausragende Koloratursopranistin, die sich in der Welt der Oper einen Namen gemacht hat. In ihrer beeindruckenden Karriere hat sie zahlreiche Opern von nahezu allen bekannten Komponisten gesungen und dabei ihre stimmliche Brillanz und technische Virtuosität unter Beweis gestellt. Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten wurden mehrfach mit renommierten Stipendien und Auszeichnungen gewürdigt. Ihre Auftritte werden von der Fachpresse regelmäßig lobend erwähnt und ihre Interpretationen als meisterhaft beschrieben.
Für die besondere Gestaltung der Melusine wurde Marlene Mild mit mehreren Nominierungen zur „Sängerin des Jahres“ in der Fachzeitschrift „Opernwelt“ geehrt. Konzerte mit den Ensembles Contrechamps, e-mex und Kontraste prädestinieren die Sängerin immer wieder für die zeitgenössische Musik.
Marlene betritt gerne Neuland und findet ihre größte Freiheit in der Neuen Musik der hervorragenden deutschen Komponisten des 20.Jahrhunderts, Bernd Alois Zimmermann, Hans Werner Henze, Aribert Reimann oder Morton Feldman.
Durch das stetige Üben, Dranbleiben und konsequente Weitermachen bekommt man viel Kraft, antwortete sie mir, als ich sie nach dem Rezept zu ihrer erfolgreichen Kariere fragte. Marlene verriet mir auch, dass eine besondere Stärke von ihr nicht nur der Fleiß, sondern auch das schnelle Lernen sei. Sie konnte nach nur drei Wochen lernen, mit den Düsseldorfer Symphonikern, als instrumental geführter Sopran, die Worte Becketts in der Oper Neither in höchster Lage intonieren und „beeindruckend klangrein“ interpretieren. „Und Neither ist eine harte Nummer“, sagt die Sopranistin.
Ich war auch neugierig, wie ein Tag vor so einem großen Auftritt der Sopranistin aussieht. Marlene erzählte mir, dass der aus gewissen gleichbleibenden Ritualen besteht, deren Einhaltung unerlässlich ist. Dabei spielt die Zeit zum Einsingen, das Fokussieren auf den Abend eine genau so große Rolle, wie das Ausruhen und vor allem das richtige Essen vor den Auftritten.
Sie muss alles tun um die Geläufigkeit ihrer Stimme nicht zu gefährden, denn: „Ihre Stimme suggeriert bestrickend erotischen Reiz, wirkt auch beweglich genug, um Aggressionen gegen die Mächtigen im Stile einer ‚Königin der Nacht‘ herauszuschleudern“, meint Prof. Egon Bezold von Klassic Com.
„Dafür braucht man aber auch viel Kraft“, sagte Marlene und verriet mir, dass sie bei einem Auftritt in Düsseldorf nach der ersten Arie als Königin der Nacht in der Theaterkantine zum Glück ein Wiener Schnitzel zu essen bekam, um die zweite Arie genau so kraftvoll zu stemmen. Fazit: Der Verzehr eines Wiener Schnitzels kann einer zierlichen Sopranistin die notwendige Kraft und Energie verleihen, um ihre Arien mit voller Intensität zu singen. Die ausgewogene Kombination aus Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten unterstützt die körperliche Leistungsfähigkeit, während der psychologische Wohlfühleffekt zur mentalen Stärke beiträgt. Somit ist das Wiener Schnitzel nicht nur eine kulinarische Spezialität, sondern auch ein effektiver Kraftspender für herausragende stimmliche Leistungen.
Da wir nun über Essen sprachen, erinnerte sich Marlene auch gerne an den Kuchen, den es bei ihnen zuhause in Mediasch gab, wenn „Erni-Onkel“ zu Besuch kam. Sie meinte damit Prof. Ernst Irtel, der sie und ihre beiden Schwestern Maria und Nora mit seinen Erzählungen aus der Welt der Musik und vor allem mit seinem Klavierspiel in eine märchenhafte Atmosphäre eintauchen ließ. Dank dieser Freundschaft zu Ernst Irtel ging Marlene hier in Deutschland auf seinen Wunsch ein, bei der Uraufführung seiner Lieder mitzuwirken und fand somit seit 1997 wieder zur siebenbürgischen Musik zurück.
Mittlerweile sieht Marlene es als eine große Ehre, seine Werke in Memoriam Konzerten zu interpretieren und auf diese Weise sein Erbe zu bewahren und Dankbarkeit für ihre Heimat zu zeigen. Sie sind auch ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Musik als verbindendes Element zwischen Künstler und Publikum, Vergangenheit und Gegenwart wirken kann. Die Resonanz des Publikums ist überwältigend. Es ist unglaublich bewegend zu sehen, wie viel diese Musik den Menschen bedeutet. Viele Besucher der Konzerte haben ihr erzählt, wie sehr sie sich durch die Musik an ihre eigenen Wurzeln und an vergangene Zeiten erinnert fühlen.
Nach einem eindrucksvollen Konzert in München war auch ich überwältigt von Stolz und Freude, dass eine so großartige Künstlerin aus unserer Heimatstadt stammt. Die Möglichkeit, nach dem Konzert mit ihr zu reden, war ein unvergessliches Erlebnis, das die emotionale Bindung zu Mediasch weiter vertiefte.
Das größte Geschenk in ihrem Leben ist jedoch ihre Tochter Mia Magdalena. Die Beziehung zwischen Marlene Mild und ihrer Tochter ist geprägt von gegenseitigem Respekt und Liebe. Marlene unterstützt ihre Tochter in allen ihren Bestrebungen und freut sich über die Freiheit die sie hat, eigene Entscheidungen zu treffen und eigene Wege zu gehen. Diese starke Bindung ist ein Fundament, das beiden Frauen Kraft und Inspiration gibt.
Es ist ein Herzenswunsch von Marlene ihrer Tochter die Orte zu zeigen, die sie als Mensch und Künstlerin geprägt haben. Mediasch ist ein Teil ihrer Identität und sie möchte, dass Mia Magdalena diese besondere Verbindung ebenfalls spüren kann.
Es wäre ihr auch eine große Ehre und Freude, in der Kirche ihrer Heimatstadt zu singen. Sie stellt sich vor, wie die Töne in diesem heiligen Raum schweben und eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen. Ein solches Konzert wäre für sie ein bewegender Moment, eine emotionale Rückkehr und sicher ein Highlight für die Stadtbewohner.
Im Laufe der Jahre hat sie sich auch ein weiteres berufliches Standbein aufgebaut: Sie gibt ihre reiche Musik- und Bühnenerfahrung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg an zukünftige Lehrer und Musiker weiter.
Ich möchte Marlene nun von Herzen für das wunderbare Interview, das sie mir gewährt hat, danken. Ihre Worte haben mich tief berührt und ich bin sehr dankbar, dass sie sich die Zeit genommen hat, ihre Gedanken und Gefühle mit uns zu teilen.
R.W.: „Stellvertretend für alle Mediascher möchte ich Dir mitteilen, dass wir sehr stolz darauf sind, Dich als Teil unserer Gemeinschaft zu haben. Deine Erfolge und Deine Hingabe sind ein Lichtblick und ein Grund zur Freude für uns alle. Es ist ein Privileg, dass wir eine so talentierte und herzliche Künstlerin wie Dich in unseren Reihen wissen dürfen.“
Marlene: „Vielen Dank! Es bedeutet mir sehr viel, solche Worte zu hören. Mediasch ist und bleibt ein wichtiger Teil meines Lebens. Hier habe ich eine schöne Kindheit mit Menschen die mir zugetan waren verbracht, die mir bis heute eine Quelle meiner Kraft geblieben sind.“
Weitere Infos: https://www.marlenemild.de
Marlene Mild als Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“ am Staatstheater Nürnberg
( Foto: Jutta Missbach )