MIB-Juli 2024-Wurde Salam de Sibiu in Mediasch erfunden?

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 Wurde die „Salam de Sibiu“ in Mediasch erfunden?- von Uwe Konst

Nicht erst seit der Verleihung des Qualitätszertifikats „geschützte geografische Angabe“[i] durch die Europäische Union sind die Marketing-Aktivitäten für die heute als „Salam de Sibiu“ bekannte Wurst intensiviert worden. Ein Verband der Produzenten dieser traditionsreichen Wurst hat es sich zum Ziel gesetzt, die Bekanntheit der Salami auch auf ausländischen Märkten zu intensivieren. Bei diesen Aktivitäten wird oft auf die Tradition des Herstellungsverfahrens verwiesen. Bei der Darstellung, wer, wie und wo die „Hermannstädter Salami“ erfunden wurde, scheiden sich die Geister. Dabei gibt es vermutlich nicht einen „Erfinder“ – die heute nach einheitlichen Standards hergestellte Wurst hat verschiedene Schöpfer, zu denen auch Metzger aus dem Raum Mediasch und Hermannstadt gehören. Der derzeitige Kenntnisstand über diesen „Ast“ in der Ahnengalerie der berühmten Salami soll nachfolgend dargestellt werden – verbunden mit Fragen zu den noch nicht geklärten Aspekten der „Wurst-Genealogie“.

Im Zuge der Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in Mediasch mehrere Salamifabriken gegründet. Ausführlich(er) dargestellt werden soll nachfolgend die Gründung und Entwicklung einer dieser Fabriken[ii]; weitere werden am Ende des Beitrags summarisch aufgeführt.

Erste Mediascher Salami-Fettwaren-Fabrik mit Dampfbetrieb und Schweinemastung Guggenberger & Comp.

Einen ersten Hinweis auf die Gründung einer Fabrik zur Herstellung von Salami findet sich im „Mediascher Wochenblatt“ vom 28.07.1894. Darin heißt es: „Die Herren Guggenberger, Ipsen und Zakowsky sind zu einem Konsortium zusammengetreten und begründen eine Salamifabrik in Mediasch. Mit dem Bau der Fabrik ist bereits begonnen worden.“ Nach anderen Angaben hat der Kaufmann Leopold Rudolf Guggenberger (* 29.07.1839, † 20.08.1904) im Jahre 1895 die Erste Mediascher Salami-Fettwaren-Fabrik mit Dampfbetrieb und Schweinemastung Guggenberger & Comp. gegründet. Bei „& Comp.“ könnte es sich um die Herren Ipsen und Zakowsky handeln.

Briefkopf der „Erste Mediascher Salami-Fettwaren-Fabrik mit Dampfbetrieb und Schweine-Mastung Guggenberger & Comp.“ aus dem Jahre 1901. Im Stil der Zeit hatten die dargestellten Firmengebäude nichts mit der Wirklichkeit zu tun, …

… auch wenn der, hier rechts im Bild zu sehen, durchaus imposante Maße gehabt haben dürfte (Panoramaaufnahme, vor dem Jahr 1900 von der Burg aufgenommen). An dem gleichen Grundstück in der Baderau wurden demnach über 100 Jahre ständig Salami und andere konservierte Fleischprodukte hergestellt.)

Das Unternehmen hatte drei Tätigkeitsbereiche, die Schweinemästerei, die Fabrikation von Wintersalami und die Herstellung von Fettwaren und Speck. Für die Herstellung von Wintersalami wurden vorwiegend Schweine der Rasse „Mangalitza“ und „Baassener“ gezüchtet. Die Schweine wurden im Spätherbst im eigenen Schlachthaus geschlachtet und kühl aufbewahrt. Das Fleisch wurde entbeint und nach einem unternehmensspezifischen Verfahren zu Wintersalami verarbeitet. Dazu nutzte der Betrieb eine individuelle Gewürzmischung. Absatzgebiet war die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn.

Am 05.05.1900 schreibt das „Mediascher Wochenblatt“: „Die erste Mediascher Salami- und Fettwarenfabrik und Schweinemastung von L. R. Guggenberger & Comp. erfreut sich eines regen Verkehrs, der sich infolge der vorzüglichen Ware, die dort im letzten Winter erzeugt worden ist, ergiebt. Wenn man des Morgens in früher Stunde an dem Fabriksgebäude vorüber geht, so kann man durch die geöffneten Fenster die schöne reife Ware anstaunen, ebenso die großen Speckvorräte, die an verschiedenen Stellen bis zum Plafond fast reichen. In Mastung befinden sich jetzt über 1000 Jungschweine, welche bis zum Herbst ausgemästet sein sollen, was bei der peinlichsten Pünktlichkeit und ganz besonderen Reinlichkeit der Futterplätze und Liegestätten leicht zu erreichen sein wird. Welche Wohlthat diese Anstalt für die Kukuruz anbauenden Landwirte ist, beweist der Umstand, daß mancher Landwirt waggonweise dieses Futtermittel liefert, ebenso kann der kleine Landwirt das kleinste Quantum liefern um sich aus einer Verlegenheit zu helfen. Verfüttert wird neben Mais auch Gerste.“

Leopold Guggenberger verstarb am 20.08.1904 im Alter von 65 Jahren. Das Unternehmen wurde von seinem Kompagnon Josef Traugott Theil (* 4. Juli 1875, † 12. November 1932) und den Erben weitergeführt. Nach dem Ersten Weltkrieg verkaufte Theil aus bisher nicht bekannten Gründen seinen Betrieb und zog nach Hermannstadt.

Am 26.03.1919 kaufte Fritz Auner (* 10. April 1889, † 28. Mai 1970) das Unternehmen, welches am 02.04.1919 als Fritz Auner & Comp. Salami- und Wurstfabrik mit eigener Schweinemästerei Mediasch ins Grundbuch[iii] eingetragen wurde.

Fritz Auner war der Enkel des Unternehmensgründers Leopold Rudolf Guggenberger. Die Tochter des Gründers, Bertha (* 31. Oktober 1862, † 21. April 1916) heiratete im April 1884 in Mediasch Friedrich Auner (* 20.Dezember 1858, † 01. Mai 1908). Ein Kind dieser Ehe war der neue Eigentümer Fritz Auner.

Die ersten beiden Jahrzehnte nach Ende des Ersten Weltkriegs waren gekennzeichnet von wirtschaftlichem Aufschwung, Diversifizierung der Produktionspalette, Investitionen in moderne Produktionsanlagen und steigendem Absatz auch im „Altreich“ (Walachei und Moldau), insbesondere Bukarest. Diese Phase positiver Entwicklung wurde jäh unterbrochen von der im Oktober 1929 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise. Die Auswirkungen der Krise erreichten auch die Salamifabrik von Fritz Auner. Es folgten Verkäufe von Anlagevermögen und Veränderungen in der Teilhaberschaft an dem Unternehmen. Als Folge dieser Veränderungen wurde die Firma umbenannt in Fritz Auner Salami – Wurst – Konservenfabrik Mediasch. Alleiniger Inhaber war nunmehr Fritz Auner.

Zu einem wichtigen Vertriebsgebiet wurden die Städte im Süden und Osten Rumäniens, wo das Unternehmen mit freiberuflichen Handelsvertretern zusammenarbeitete. Es folgten Jahre des erneuten wirtschaftlichen Aufschwungs und der Umsatzsteigerungen, gerade auch im Export. Die politischen Veränderungen der 1930er Jahre und die sich abzeichnenden kriegerischen Auseinandersetzungen beeinträchtigten jedoch den Absatz auf Auslandsmärkten. Das Unternehmen reagierte mit der Umbenennung in SCANDIA ROMÂNĂ
Fabrica de Salam si Conserve S.A.R. Mediaş

Das am 26.10.1938 gegründete Unternehmen wurde unter der Nummer 294/1938 bei der Industrie- und Handelskammer Alba Iulia eingetragen. Anteilseigner der Scandia Română waren Fritz Auner aus Mediasch, als Mehrheitseigentümer und Leitender Direktor des Unternehmens, Theodor Wölfer aus Malmö/Schweden und Robert Berghaus aus Wuppertal/Deutschland. Es handelt sich dabei vermutlich um Theodor Woelfer (auch Wölfer), der sowohl in Malmö als auch in Stockholm lebte und arbeitete.[iv] Als gebürtiger Deutscher war er im Jahr 1915 nach Schweden emigriert, wo er für eine Berliner Firma in Malmö auf Direktorenebene arbeitete. Er war mit der Deutschjüdin Gertrud Hammerschmit verheiratet, die seit 1917 ebenfalls in Schweden lebte. Mit ihr hatte er drei Kinder.[v] Über Robert Berghaus konnten keine Angaben gefunden werden. Während letzterer als Technischer Leiter in dem Unternehmen tätig war, brachte Theodor Wölfer seine Kontakte zu bestehenden und neu zu erschließenden Auslandsmärkten ein.

Die Exportmöglichkeiten scheinen sich – trotz der Veränderungen in der Teilhaberschaft – weiter eingetrübt zu haben. Die fehlenden Ausfuhrmöglichkeiten werden als Argument für eine erneute Änderung der Unternehmens- und Gesellschafterstruktur angeführt. Demnach gibt Fritz Auner die Aktienmehrheit an Scandia Română ab und betreibt unter dem alt-neuen Firmennamen Fritz Auner Salami-, Wurst und Konservenfabrik weiterhin eine Lebensmittelproduktion in Mediasch.

Die Scandia Română mietet die Räumlichkeiten der ehemaligen Salamifabrik J. Theil in Hermannstadt, veranlasst die Eintragung in das dortige Handelsregister (unter der Nummer 459/5-1941) und zieht am 31.07.1941 endgültig von Mediasch nach Hermannstadt.

Fritz Auner investiert in seinen Mediascher Betrieb, in dem er Alleineigentümer ist, läßt das Unternehmen in das Handelsregister eintragen und nimmt Anfang November 1941 die Herstellung von Wintersalami und weiteren Produkten auf. Während des Zweiten Weltkriegs galt das Unternehmen als militärisch relevanter Betrieb, da ein großer Teil der Produktion im Auftrag des Verteidigungsministeriums erfolgte. Aus diesem Grund wurden weniger Mitarbeiter zum Militärdienst eingezogen; die Produktion konnte weitgehend aufrechterhalten werden. Nach dem Ende des Krieges ereilte die Firma das Schicksal vieler anderer Unternehmen in sächsischem Besitz: die Vertretung der Arbeitnehmer gewann an Bedeutung und Macht, zeitweise hatte ein sowjetischer Kommissar das Sagen, ein Teil der Belegschaft wurde im Januar 1945 in die Sowjetunion deportiert.

Auf Grundlage des Gesetzes Nr. 119 wurde das Unternehmen im Juni 1948 nationalisiert und erhielt anschließend den bis heute gültigen Namen SALCONSERV. Nach einem Aufschwung während der kommunistischen Herrschaft begann ein langsamer, aber stetiger Niedergang. Nicolae Floca versuchte – ausgestattet mit umfassendem Wissen über Salamiproduktion – nach der Wende 1989 einen Neustart. Spätestens seit dem vermutlich durch das Corona-Virus versursachten Tod von Floca im Jahr 2022 scheint das endgültige Ende der Salamiproduktion in Mediasch besiegelt zu sein.

Briefkopf der „Szalámi- és Hentesárú-Gyár“ (ungarisch für Salami- und Selchwarenfabrik) von Josef Theil aus dem Jahre 1919, dessen Vorname auf der Drucksache magyarisiert erscheint.

Briefkopf der Salami- und Konservenfabrik von Fritz Auner. Der Brief ist zwar nicht datiert; die aufgeklebte Fiskalmarke war ab 1941 in Verwendung.

Einladung zur Zeichnung von Aktien für die „Mediascher Schweinemastanstalt und Salamifabrik AG“, veröffentlicht im Mediascher Wochenblatt vom 10. Mai 1894.

Im Dezember 1895, gut ein Jahr nach ihrer Gründung, wurde dem Publikum eine breite Palette von Selchwaren der „Mediascher Salamifabrik und Schweinemastung AG“ angeboten, …

… wobei sich die „Hauptniederlage für Wurst“ im Kolonialwarenlanden „Zum schwarzen Hund“ von Johann Buresch befand, damals noch in einem Geschäftslokal auf der Südseite des Großen Marktplatzes. Ein Schild über dem Laden besagt, dass sich auch eine „Niederlage der Weingroßhandlung Friedrich Czell & Söhne“ befand

Weitere Salamifabriken und Fleischereien

Ende des 19. Jahrhunderts scheint es – neben Guggenberger & Comp. – eine weitere Initiative mehrerer Institutionen zur Gründung einer Salamifabrik gegeben zu haben. Ein Indiz hierfür ist die nachfolgend abgebildete Einladung zur Zeichnung von Aktien für die „Mediascher Schweinemastanstalt und Salamifabrik“, welche im Mediascher Wochenblatt vom 10.05.1894 erschienen ist. Dieses Unternehmen ist wohl gegründet worden und hat seine Tätigkeit aufgenommen. Allerdings scheint es nicht erfolgreich gewesen zu sein. Das Mediascher Wochenblatt vom 11.08.1900 zitiert den „Großkokler Boten“: „Die Fabrik und der Grund der Mediascher Schweinemastungs- und Salamifabrik Aktien-Gesellschaft wurde im Wege freiwilliger Lizitation von dem Mediascher Spar- und Vorschußverein um 25 000 fl. gekauft. Der genannte Sparverein als einziger Gläubiger war mit 50 000 fl. an der Fabrik interessiert. Die Gesellschaft trat mit einem Grundkapital von 160 000 fl. zusammen; der Aufbau und die Einrichtung der Fabrik kamen beiläufig auf 150 000 fl. zu stehen. Schlechte Leitung und die Konkurrenz einer bald darauf neu erstandenen Fabrik haben den Fall der Mediascher Schweinemastungs- und Salamifabrik-Aktiengesellschaft herbeigeführt.“

Aus weiteren Zeitungsmeldungen kann geschlussfolgert werden, dass die Maschinen und Einrichtungsgegenstände dieser Salamifabrik 1901 vom Spar- und Vorschuss-Verein in Mediasch versteigert wurden. 1903 hat die Kronstädter Firma M. Fleischer & Co. das Gebäude der ehemaligen Salamifabrik erworben und die Fleischverarbeitung wieder aufgenommen. 1908 wird per Stellenanzeige ein „tüchtiger und ehrlicher Kanzleidiener“ für das Unternehmen gesucht.

Beispiele weiterer in Mediasch ansässiger Salami-Produzenten zeigen die nachfolgenden Abbildungen. 1914 soll es in Mediasch etwa 11 Fleischereien gegeben haben, beispielsweise jene von Fritz Siegmund. Unklar ist noch, welche davon auch (Winter-)Salami produzierten.

Um die Verbindung von der durch Mediascher Fleischer und Unternehmer spätestens ab dem Ende des 19. Jahrhunderts produzierten Wintersalami bis zu der „Salami de Sibiu“ des 21. Jahrhunderts nachvollziehen zu können, sind insbesondere Informationen zu Rezepturen und Herstellungsprozessen notwendig. Wissensträger hierzu und zu allen Themen rund um die Salamiproduktion in Mediasch werden gebeten, sich bei dem Autor dieses Beitrags (uwe.konst@arcor.de, Tel 06706-9158950) oder der Redaktion des Mediascher Infoblatts  (infoblatt@mediasch.de) zu melden. Über die Ergebnisse der Recherchen wird in einem weiteren Beitrag in dieser Zeitschrift berichtet.

Wie aus dieser Zeitungsanzeige aus dem Mediascher Wochenblatt vom 12. Juni 1897 ersichtlich, verkaufte die Salamifabrik auch Nebenprodukte, wie z. B. die zu jener Zeit allseits verwendete Kern-Seife.

„1a genussreines, haltbares Kunsteis … aus bestem Trinkwasser“ produzierte und verkaufte die Salamifabrik Thomas Binder & Söhne und Zikeli, passend sicherlich auch, um das „Thomasbräu“ im eigenen Bierdepot zu kühlen.

Man lebte nicht schlecht im alten Mediasch: 1894 verkauft der Metzgereibetrieb von Fritz Siegmund „alle Gattungen Fleisch“ sowie „Krenwürstel, Cervelat-, Pariser- und Polnische Wurst, Sommersalami“ und dergleichen mehr. Bei Johann Buresch gleich nebenan gab es das gleiche, aber auch „Russen ohne Gräten, … Ostseeaalbricken, … Caviar und Maroni“ und eine breite Palette diverser Käsesorten.

Briefkopf der „Salami-, Konserven- und Selchwarenfabrik Richard Auner & Comp.“ vom Januar 1930. Richard Auner (*18. Mai 1896, † 19.11.1975) war ein jüngerer Bruder von Fritz Auner. Deren Eltern hatten neun Kinder, von denen acht bis ins hohe Alter lebten.


[i] Die geschützte geografische Angabe (g. g. A.) unterstreicht den Zusammenhang zwischen einem bestimmten geografischen Gebiet und dem Namen eines Erzeugnisses, wenn eine bestimmte Qualität, das Ansehen oder ein anderes Merkmal dieses Erzeugnisses im Wesentlichen auf dessen geografischen Ursprung zurückzuführen ist.

[ii] Die Ausführungen hierzu beruhen primär auf einer von Friedrich W. Auner im August 1994 erstellten Dokumentation zur Firmengeschichte.

[iii] Es könnte sich auch die Eintragung ins Handelsregister gemeint sein.

[iv] Freundliche Auskunft von Claes Woelfer, 30.3.2011.

[v] Siehe https://www.galerie20.smb.museum/werke/966344.html